Konzert:Kühle Songs, kantige Grooves

Jazz-Sängerin Victoria Tolstoy im bosco; Jazz-Sängerin Victoria Tolstoy

Über weite Strecken zurückhaltend: die Sängerin Victoria Tolstoy beim Auftritt in Gauting.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Victoria Tolstoy und Jacob Karlzon erweisen sich als konträres Duo

Von Reinhard Palmer, Gauting

Mit diesem Konzert ist die zehnjährige Zusammenarbeit im Jazzforum zu Ende gegangen. Die Leitung des Gautinger "Bosco" hat der einzigen Agentur im Programm, "LOFTmusic" von Manfred Frei und Irina Frühwirth, die Partnerschaft aufgekündigt, um die Reihe in Eigenregie fortzusetzen. Ein kurzer, respektvoller Rückblick zwischen Konzertende und Zugabe war angesichts der guten Entwicklung des Jazzforums durchaus angebracht. Frei nutzte aber auch die Gelegenheit, die Fortsetzung seiner Jazzreihe als "All that Jazz" in Starnberg anzukündigen. Dennoch fiel der Abschied schon etwas wehmütig aus.

Bisweilen hatte sich auch bereits im Konzert zuvor eine solche Stimmung eingestellt. Allerdings nur, wenn sich Jacob Karlzon in die reine Begleitung zurückzog und geradezu minimalistisch am Flügel die Harmonien markierte, wie etwa im Song "Taking it all too hard" von Phil Collins. Das waren allerdings eher die Ausnahmemomente - auch wenn sich die einfühlsame Stimmkünstlerin Viktoria Tolstoy generell und konsequent zur lyrisch-elegischen, nordischen Tradition bekannte.

Demgegenüber erwies sich Karlzons Spielweise im Duo eher als konträr, was eine enorme Spannung in die Interpretationen brachte und stellenweise schon fast an den Rand einer Zerreißprobe führte. Letztendlich erwies sich diese Gegenüberstellung als das Hauptthema des Abends. Denn die Stücke im Programm - welcher Gattung und welchen Genres auch immer - dienten nur als Ausgangsmaterial für die ausgeprägt eigenen Auslegungen des ungleichen schwedischen Duos. Und das Verhältnis zwischen Karlzon und Tolstoy war eben durch ein Tauziehen geprägt - zwischen der stimmsinnlich und über weite Strecken zurückhaltend agierenden Sängerin und dem sich gerne sperrig und spröde dagegenstemmenden Pianisten.

Tolstoy, deren origineller Künstlername auf ihren berühmten Vorfahren, den russischen Schriftsteller Lew Tolstoi, zurückgeht, verfügt über eine überaus flexible Naturstimme. Ihr Repertoire ist weit gefächert, von russischen und schwedischen Liedern über Standards der Jazzliteratur bis hin zu Highlights aus Pop und Rock. In der Zugabe sollte sogar noch ein schwedisches Volkslied zu hören sein.

Mit diesem Material vermochte Karlzon durchaus schlüssig umzugehen, nicht selten virtuos und ausgesprochen komplex in der Strukturierung. Die persönlichen Vorlieben des Pianisten, der auch Tolsoys Band angehört, liegen im Hard Bop und Rock, was sich in scharfkantiger Rhythmisierung, in bluesigen Grooves und auch schon mal dröhnend-vibrierenden Soundscapes äußerte. Karlzons Textur zeigte nur selten Glätten, sie sträubte sich geradezu dagegen, sich schönästhetisch zu fügen. Lediglich wenn Karlzon aus repetitiver Ton- oder Akkordfolge allmählich eine geschlossene Klangtextur entwickelte, die - wie etwa in "Deep River" von Bendik Hofseth - meist einen hymnischen Höhepunkt im Gesang unterlegte, stand eine Klangmasse zur Verfügung, die er flimmernd als geschlossenes Gebilde zu formen bereit war. Der Flügel konnte dann schon ordentlich dröhnen.

Inhaltlich stand im Bosco neben der neuen CD "A Moment of Now", deren Titelsong von Pat Metheny hier zu den ruhigen Schmeichelstücken gehörte, auch die Auseinandersetzung mit Herbie Hancock im Fokus, was die groovende Kantigkeit durchaus rechtfertigte. So etwa in "Trust me" oder in "Butterfly". Dann entwickelte sich eine enorme Kraft, die Tolstoy dramaturgisch nutzte, ihre Stimme vor allem zum Ende hin zunehmend virtuoser und freier einzusetzen. Besonders ausgeprägt war dies aber im finalen Akt mit "Red Rain" von Peter Gabriel. Der riss das Publikum dann auch ordentlich zur Begeisterung hin.

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