Konzert in Weilheim:Entschleunigter Flamenco

Ricardo Volkert

Temperamentvoll: Flamencogitarrist und Sänger Ricardo Volkert.

(Foto: Peter Braun, oh)

Gitarrist Ricardo Volkert aus Herrsching hat sich lange Zeit in die virtuose andalusische Musik vertieft. Inzwischen setzt er vor allem auf seine eigenen Lieder und Gedichtvertonungen

Von Gerhard Summer, Herrsching

Sein erstes Lied hat Ricardo Volkert mit 15 geschrieben. Inzwischen sind 100 Songs mit eigenen Texten und 50 Gedichtvertonungen dazugekommen. Der Flamencogitarrist aus Herrsching hat nämlich ein Faible für die Dichter des Expressionismus, außerdem für Federico Garcia Lorca, Pablo Neruda und Rafael Alberti, für Prosa und Poeme also, die hochdramatisch, skurril und surrealistisch sein können. Da ist dann von einem Herz die Rede, das rot ist wie der Hahnenkamm, von Pferdehufen, die "vier silbernen Seufzern" gleichen, und vom Mond, der auf die Erde kommt und ein Kind entführt. Wie sein Erstling übrigens hieß?

Volkert zögert. Er lacht verlegen. Vor ihm auf dem Tisch liegen Noten und eine Nagelfeile, auf einem Ständer steht eine seiner Flamencogitarren, im Hintergrund zwitschern seine zwei Wellensittiche. Die Sonne scheint ins Wohnzimmer, vormittags übt er hier immer, um halb zwei holt er seinen Sohn Gabriel von der Schule, seine Frau Dagmar ist Hebamme und oft tagsüber unterwegs. Der Titel sei ihm ein bisschen peinlich, sagt er. Doch dann verrät er ihn doch: "Mist, Mist, Mist". Ja gut, das "war ein Protestsong gegen die Ungerechtigkeit der Welt". Ja, und damals im März 1978, als er das Stück aufschrieb, stand sein Berufswunsch schon fest: Er wollte professioneller Musiker werden.

Was charakteristisch sein dürfte für den heute 54-Jährigen mit den langen gewellten Haaren, der solo, mit dem Cellisten Jost Hecker und in Ensembles wie "Shurano" und "Locos por la Rumba" spielt und auf manchen Fotos so markig in die Kamera schaut, wie man das von einem Flamenco-Aficionado offenbar erwartet. Denn Volkert hat immer einen Plan und geht systematisch vor. Er legt beispielsweise keinen Wert darauf, möglichst viele Lieder zu produzieren. "Viel wichtiger ist mir: eines zu machen, das in die Herzen der Zuhörer geht", sagt er. Im Gegensatz zu anderen Musikern unterrichtet er auch nicht, denn das könnte ihn davon abhalten, Konzerte zu geben. Stattdessen entschied er sich dafür, "Pförtner mit Sonderaufgaben" zu werden, wie das 1990 noch hieß.

Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Grenzöffnung hatte die Stadt München Menschen aus der Ex-DDR, Rumänen, Polen und Tschechen unterbringen müssen. Erst in einem Bierzelt an der Ingolstädter Straße, bald in einem Luftschutzbunker und in Räumen an der Hohenzollernstraße. Ein Team von 20 Leuten übernahm die Aufgaben, die inzwischen Profis erledigen: "Verwaltung, Hausmeisterei und sozialpädagogische Arbeit." Heute macht Volkert den Job noch einmal pro Woche. Meist übernimmt er Spätdienste im Neuaubinger Notquartier der Stadt. Er geht auf Rundgang, notiert, wenn etwas defekt ist, und fungiert als Ansprechpartner für Flüchtlinge und Menschen, die ihre Wohnung in München verloren haben.

Aber er sitzt eben nicht wieder mit der Gitarre in der Hand da und erklärt einem Schüler, wie Picado, Rasgueado und all die anderen Techniken funktionieren. "Ich dachte mir, es ist besser, wenn ich etwas anderes sehe und erlebe", sagt er dazu. Seit drei Jahren stürzt sich Volkert auch nicht mehr in den "Kampf mit der Virtuosität der Spanier". Er hat nämlich mit dem Apoyando, dem angelegten, besonders lauten Anschlag mit den Fingern der rechten Hand, Probleme bekommen. Damit spielen die Gitarristen schnelle Läufe, doch Volkert wurde immer langsamer, je mehr er übte. Inzwischen pfeift er auf die Skalenraserei. "Die Frage war: Will ich ein zweitklassiger Flamencogitarrist sein - oder den eigenen Weg gehen", sagt Volkert. Er entschied sich dafür, auf seine Lieder und Gedichtvertonungen zu setzten, auf entschleunigten Flamenco also.

Und das ist nicht weniger als ein Glücksfall. Denn damit hat sich Volkert auch von all dem entfernt, was an dieser andalusischen Musik mitunter nervt: von der großspurig inszenierten Geste, dem Gesang voller Pathos und Schmerz und der technischen Zauberei, die oft nur Selbstzweck ist. Der Musiker aus Herrsching setzt dem hochmelodische, eingängige, oft auch wunderbar schlichte Stücke und natürlichen Gesang entgegen. Was aber nicht heißt, dass er jetzt nur noch simple Akkorde zupfen würde. "Wenn ich Lust und Laune habe, mache ich schon auch was Feines auf der Gitarre" sagt er. Denn von seinem Anspruch lässt er nicht ab: Was er macht, muss Hand und Fuß haben.

Der Münchner, der in Unterschleißheim aufwuchs und aufs musische Camerloher-Gymnasium in Freising ging, kommt aus einer Künstlerfamilie. Sein aus Peru stammender Vater verdiente sein Geld als Modefotograf, in der Familie seiner Mutter spielte jeder mehrere Instrumente. Almería war die zweite Heimat der Volkerts. Dort verbrachten sie vom Ende der Sechzigerjahre an jeden Urlaub, bald im eigenen Haus. In einem Musikladen der Hafenstadt bekam Ricardo seinen ersten Gitarrenunterricht bei Jose Richoly. In München nahm er Stunden bei Gerd Jan Blum. Darauf legte er schließlich Wert: auf eine "gute Ausbildung auf der Gitarre".

Von 1988 bis 1994 zog Volkert als klassischer Liedermacher mit seinem Bühnenpartner Jürgen Birlinger aus Freising durch die Lande. An der Münchner Uni studierte er sechs Semester Literaturwissenschaften und nahm Spanisch als Nebenfach. Danach brach er ab und entschied sich für das, "wo mehr mein Herz war - die Musik". Nach einem Jahr an der New Jazz School in München zog ihn der Flamenco an: 1991 war er bei einer Aufführung der Münchner Flamenco-Schule in Giesing dabei und hörte den Gitarristen Fredo Erber, der sein nächster Lehrer wurde. Zugleich nahm er Gesangsunterricht bei der afro-amerikanischen Sängerin Bennie Gilette. Volkert gründete seine erste Flamencogruppe "La Puerta Flamenca", arbeitete mit Formationen wie Lisa Romero und Inspiración Andaluz zusammen, nahm mit der Sängerin Estella Sanz Postequillo eine CD auf. Doch irgendwann wurde ihm klar, dass der traditionelle pure Flamenco nicht seine Welt war. Allein schon der Gesang - "wenn du damit nicht aufwächst, wird's schon sehr schwer". Denn die Vokalpartien hätten großen Tonumfang und müssten mit viel Druck gesungen werden, "viele ruinieren sich so die Stimme".

Volkert ist nach wie vor mit Gruppen unterwegs, die er 1998 und 2004 aus der Taufe gehoben hat, "Shurano" und "Locos por la Rumba". In Zukunft will er " alles mit seinem Namen machen", dann wird es also heißen: Ricardo Volkert und "Shurano". Er sei ohnehin der, der sich um alles kümmert, ob Plakate, Programme oder Newsletter. Volkert spielt auf dem Seniorennachmittag in Herrsching, seiner Wahlheimat seit 2001, genauso wie im Kunsthaus im Taunus. 80 bis 110 Konzerte gibt er im Jahr, dabei ist es selbst für einen so angesehenen und bekannten Flamencogitarristen wie ihn, der seit 27 Jahren im Geschäft ist, nicht einfach, an Auftritte heranzukommen. Sich selbst am Telefon anzupreisen, liegt Ricardo Volkert weniger. Doch auf E-Mails reagierten Veranstalter nicht mehr, weil sie damit überschwemmt würden. Oft bleiben dann nur Empfehlungen oder der Zufall. Letztlich gelte aber: "Wenn ich mal wo bin, bin ich immer wieder dort."

Volkert ist solo am 26. Mai, 19 Uhr, im Weilheimer Lokal "Wild & Gut" und mit "Locos por la Rumba" am 7. Juli, 20 Uhr, im Alten Bahnhof Steinebach zu erleben. Seine Weihnachts-CD "Feliz Navidad" soll im November auf den Markt kommen.

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