Kommentar:Das Leid mit der Rendite

Schwarze Zahlen zählen mehr als Wohlfühlatmosphäre: Was die Schließung der Geburtshilfe in Gräfelfing lehrt

Von Michael Berzl

Das regelt der Markt. So lautet eine Redensart von Jüngern des Wettbewerbs, die dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte viel Segensreiches zutrauen. Möglichst wenig eingreifen, heißt ihr Credo. Konkurrenz belebe schließlich das Geschäft. So gibt es immer mehr Bereiche, in denen die Gesetze des Wirtschaft wirken. Die Bahn ist seit mehr als zwei Jahrzehnten eine Aktiengesellschaft, städtische Schwimmbäder werden von privaten Betreibern übernommen oder gleich geschlossen, weil sie zu teuer sind. Ein Konzern entsorgt den Müll im Fünfseenland, und auch im Gesundheitswesen geht es mehr um Rendite als um Heilung. Profite maximieren, Ausgaben minimieren.

Nicht nur bei der Produktion von Zylinderkopfdichtungen oder beim Verkauf von Putenschnitzeln gilt: Die Masse macht's. Auch Geburten müssen sich rentieren. Wenn eine Einheit zu klein ist, rechnet sich das nicht. Wenn eine Entbindungsstation nicht wirtschaftlich zu führen ist, muss sie eben geschlossen werden. So geschieht das gerade in der Wolfart-Klinik in Gräfelfing, in der in den vergangenen Jahrzehnten Tausende Würmtaler zur Welt gekommen sind. Die Eltern wussten die familiäre und persönliche Atmosphäre in dem vergleichsweise kleinen Haus zu schätzen. Doch ein harmonisches Gefühl ist kein Posten in einer Bilanz.

Die Folgen sind in vielerlei Hinsicht unangenehm. Hebammen und Ärzte müssen sich einen neuen Arbeitsplatz oder neue Aufgaben suchen. Und schwangere Frauen müssen weite Wege in Kauf nehmen und zum Beispiel ausweichen nach Großhadern. Dort dürfen sie dann mit erstklassiger medizinischer Versorgung rechnen in der Atmosphäre einer Fabrik. Und werden sich vielleicht wünschen, dass nicht der Markt das regelte, wo sie ihr Baby bekommen können.

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