Kirchenmusik:Herrin über 2064 Pfeifen

Sul Bi Yi spielt jetzt die Andechser Orgel; Sul Bi Yi spielt jetzt die Orgel

"Als ganz junges Mädchen, habe ich wirklich gedacht ich sei ein Wunderkind", gesteht Sul Bi Yi, die neue Organistin der Wallfahrtskirche in Andechs.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Südkoreanerin Sul Bi Yi ist neue Organistin in der Wallfahrtskirche in Andechs. Die Katholikin hat in München Kirchenmusik studiert - und gerade einen hoch dotierten Preis gewonnen

Von Ute Pröttel, Andechs

Das Handgelenk der rechten Hand ist noch verbunden, aber die Entzündung ist am Abklingen. Fünf bis sechs Stunden Orgelspiel am Tag waren dann doch etwas zu viel für die Sehnen. Doch das intensive Üben hat sich gelohnt. Beim Internationalen Rheinberger Wettbewerb für Orgel in Vaduz ließ die junge Organistin Sul Bi Yi vor 14 Tagen das Feld der Mitbewerber deutlich hinter sich. Die Jury verlieh ihr den mit 15 000 Franken dotierten ersten Preis, ein zweiter Preis wurde nicht vergeben.

Ein bisschen stolz auf diesen Preis sind auch die Patres im Kloster Andechs. Sechs Monate war die Orgel in der Wallfahrtskirche verwaist, seit August hat Sul Bi Yi den großen Schlüssel für die Empore. Die Südkoreanerin ist die neue Organistin auf dem Heiligen Berg. Schon ganz routiniert öffnet sie mit dem gut 20 Zentimeter langen Werkzeug die Türe. Dabei würde man in der Hand der zierlichen Asiatin eher eine Chipkarte erwarten oder einen Daumenscanner, der ihr Zugang zu ihrem Arbeitsplatz verschafft.

Sul Bi Yi tritt die Nachfolge von Anton Ludwig Pfell an, der im Januar 2016 nach 35 Jahren am Kloster Andechs in Rente ging. Dass die Fußstapfen des erfahrenen Kirchenmusikers für sie nicht zu groß sind, bewies die 28-Jährige nicht erst in Vaduz. 2013 gewann sie den Ersten Preis beim Internationalen Orgelwettbewerb in St. Maurice in der Schweiz und wurde mit dem Sonderpreis für die beste Interpretation von Wagner-Liszt ausgezeichnet. 2009 konnte sie den Berthold-Hummel Wettbewerb in Regensburg für sich entscheiden.

Ob sie weiß, was Wunderkind auf Deutsch bedeutet? "Oh ja," lacht Sul Bi Yi, die sehr gut deutsch spricht: "Als ganz junges Mädchen, habe ich wirklich gedacht ich sei ein Wunderkind", gesteht sie. "Alle Menschen um mich herum haben gesagt, dass ich sehr begabt sei. Für mich war es aber ganz normal, dass ich sehr schnell Klavier gelernt habe. Und ich dachte auch, dass alle Menschen das absolute Gehör haben." Sie ist mit einem zwei Jahre älteren Bruder im Großraum Seoul aufgewachsen, die Familie gehört der römisch-katholischen Gemeinde an. Mit drei Jahren erhiel sie den ersten Klavierunterricht und nach ihrer Erstkommunion spielte sie jeden Sonntag im Gottesdienst.

Sie will Pianistin werden. Doch ein Musikstudium in Südkorea ist extrem teuer, das übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der Familie. Die Mutter arbeitet als Friseurin, der Vater ist Zahntechniker. Es ist ein Pfarrer ihres Bistums, der ein Studium der Kirchenmusik in Deutschland vorschlägt. "Das Studienfach der katholischen Kirchenmusik ist hier sehr breit aufgestellt", erzählt Sul Bi Yi. Die Idee, in die Bundesrepublik zu gehen, um Musik zu studieren, empfand sie damals als Abenteuer. "Meinem Vater ist es sehr schwer gefallen, mich gehen zu lassen," erinnert sie sich. Doch die Mutter boxte es für sie durch.

Die erste Station in Deutschland: Sechs Monate Deutschkurs in Dingden. Die größte Schwierigkeit dort: der Ortsname. Sie lacht, als sie sich bemüht korrekt zu betonen. Überhaupt ist die 28-Jährige ein sehr fröhlicher Mensch. Erst in Deutschland hat sie mit dem Orgelspiel begonnen. Doch auch das ist ihr leicht gefallen und hat sei rasch begeistert. 2006 begann sie mit dem Studium der katholischen Kirchenmusik an der Hochschule für Musik und Theater. Zwei Jahre später nahm Sul Bi Yi das Konzertfach Orgel dazu; Professor Harald Feller, der aus Feldafing stammt, unterrichtete sie. Zum Studienpensum gehörten aber auch weiterhin Chorleitung und Orchesterleitung.

"An der Hochschule habe ich dann aber viel andere begabte Musiker getroffen", das Denken vom Wunderkind hat sich relativiert. Trotzdem wertet sie es als großes Glück, dass es mit dem Studium an der Münchner Hochschule geklappt hat.

Dort hat sie auch von der Stellenausschreibung in Andechs gehört. Sie bewarb sich im März 2016 und war überglücklich, als sie im August die Stelle antreten konnte. "Die Orgel ist toll," schwärmt Sul Bi Yi. Erst 2005 hat man das Instrument erneuert. Es besteht aus 2064 Pfeifen aus Zinn-Blei-Legierung oder Holz und einem dreimanualigen Spieltisch. Die Registeranlage ist rein elektrisch, die Tontraktur mechanisch ausgeführt. Bis zu 5000 verschiedene Registerkombinationen können abgespeichert werden. Eine Besonderheit sind das Glockenspiel und der Zimbelstern.

Wenn die zierliche Asiatin an ihrem neuen Arbeitsplatz sitzt, nimmt ihr ganzer Körper unmerklich Spannung an. Grazil streichen ihre feingliedrigen Finger über die Tastatur, mit den Füßen bedient sie die Pedale und der Kirchenraum füllt sich mit Tönen. Dem letzten hört Sul Bi Yi noch konzentriert nach, dann löst sich ihre Spannung wieder.

"Für den Winter muss ich mir warme Schuhe besorgen", nimmt sie sich vor. Bereits im Sommer war es ziemlich kühl auf der Empore - doch Kälte ist sie auch aus ihrer Heimat gewohnt. Das dicht besiedelte Land liegt in der gemäßigten Klimazone und hat ebenso vier Jahreszeiten wie Deutschland. Mittlerweile fühlt sie sich in Bayern schon heimischer als in Südkorea. Und selbstverständlich hat Sul Bi Yi auch schon Bier und Hax'n auf dem Heiligen Berg probiert. Ganz begeistert ist sie vom dunklen Bockbier.

Seit Anfang September hat sie auch die Proben mit dem Andechser Chor wieder aufgenommen und hofft, dass sie am Heiligen Abend zusammen auftreten werden. Im Frühjahr 2017 ist dann die Aufführung einer Rossini-Messe geplant. Von dem Preisgeld, das Sul Bi Yi in Vaduz gewonnen hat, wird sie nun erst einmal den deutschen Führerschein machen und sich ein Auto kaufen. "Dann könnte ich jeden Sonntag eine Stunde länger schlafen." Momentan steht sie um 6 Uhr früh auf, damit sie pünktlich zur ersten Messe um 9.30 Uhr aus München auf dem Heiligen Berg ist. Auf dem Weg hört sie übrigens nie Musik.

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