Kempfenhausen:Jesus und das Bemmerl

Kempfenhausen: H C Müller und Ron Evans

In der Kürze liegt die Würze: Hanns-Christian Müller und Ron Evans spielten ein paar Evans-Hits und "The Pusher" von Steppenwolf in Kurzfassungen.

(Foto: Nila Thiel)

Allround-Künstler Hanns-Christian Müller liest in Schloss Kempfenhausen aus noch nicht publizierten autobiografischen Texten und spielt mit seinem Freund Ron Evans Blues

Von Gerhard Summer, Kempfenhausen

Dem Mann bleiben noch fünf Minuten. Andere würden jetzt vielleicht über ihr Leben nachdenken und irgendwas bereuen oder so. Herr Leimgruber aber ist Geschäftsmann bis zum letzten Atemzug. Er zählt auf, was ihm alles gehört auf Erden, die Litanei findet kein Ende, immer wieder setzt er an und redet von Aktien, Bauerwartungsland, Mietwohnungen, Villen oder seiner Saatzwiebel GmbH. Der gerufene Priester dringt kaum durch, als Leimgruber mitkriegt, dass er die letzte Ölung bekommen soll, ruft er nur aus: "Um Gotteswillen, nix Fettes!"

Ja, das klingt stark nach Gerhard Polt. Aber der kleine Sketch stammt von Hanns-Christian Müller. Ist kein Wunder, dass man die beiden verwechseln kann. Polt und der Regisseur Müller, das war ein kongeniales Humoristen-Paar. Müller inszenierte, Polt spielte. Beide schrieben, Müller mehr als Polt. Zusammen mit Gisela Schneeberger und der Biermöslblosn setzten sie der brutalen Absurdität des bayerischen Lebens ein funkelndes Denkmal. "Fast wie im richtigen Leben", "Kehraus" oder auch "Tschurangrati" sind nach wie vor Produktionen, an die kaum etwas heran kommt. Denn bei Polt & Müller geht es nicht nur fies zu - das Ganze ist auch noch wunderbar komisch. Polt allein hört sich ein bisschen anders an, funktioniert aber natürlich auch, dazu ist der Mann viel zu sehr begnadeter Kabarettist. Und Müller solo? Ja, auch das hat seinen Reiz, aber wenig mit dem schwarz galligen Humor des Duos zu tun. Gut, Leimgrubers letzte Worte gehen in diese Richtung, sie sind zum Auftakt der Müllerschen Lesung in Schloss Kempfenhausen zu hören. Ansonsten dominiert ein freundlich gestimmter Müller, der immer noch jugendlich spitzbübisch dreinschauen kann und mit seinem Freund Ron Evans einen ordentlichen Blues auf Akustikgitarren hinlegt. Klar, die beiden sind kein eingespieltes Duo. Müller ist auch kein professioneller Vorleser, in seinem Singsang geht manches unter. Und irgendwie wirkt der ganze Abend wie munter improvisiert, ganz nach dem Motto: Wieso groß vorbereiten, wenn's auch anders geht? Aber was soll's, das ist locker und schon in Ordnung so.

Müller präsentiert sich bei diesem Auftakt der neuen "Kunsträume"-Saison als Allround-Künstler, der so gut wie alles in seinem heiteren Gemischtwarenladen führt. Er zeigt Videoclips mit der Band Heilig und mit Evans, dem ewigen Bluesrocker. Vor allem aber geht es um seine Lebenserinnerungen: um anekdotischen Geschichten vom ersten Jagderlebnis des kleinen Hanns-Christian, von der Regieassistenz bei Samuel Beckett, vom Auf- und Abtauchen der Asylbewerber in Gallenbach bei Aichach und von einem Rentner im Starnberger Wirtshaus. Der historisch-philosophischer Ausbruch des einsamen Trinkers ("Die Pharaonen haben auch schon Kriege geführt, das weiß man heute") fand übrigens gleich Eingang in den "Kehraus". Müller setzt wohldosiert Gags und beschreibt sehr genau. Mehr noch kommt es ihm darauf an, seinen Personen gerecht zu werden, ob sie Maximilian Schell heißen, sich für Jesus halten oder tatsächlich Friedrich Hollaender sind.

In dieser Rückblende geht es viel milder zu als im richtigen Leben, aber einige der Texte haben es schon in sich: wie der hinfällige Rudolf Forster zu Schells Hamlet-Inszenierung am Deutschen Theater hereingetragen wird und den vorgekauten Text mit Burgtheater-Stimme nachsagt; und wie Müllers Band, die in den Umbaupausen auftritt, sich die Zeit mit Kartenspielen auf der bald von einer grüngesichtigen Frau frequentierten Damentoilette vertreibt. Eine der schönsten Geschichten handelt vom "Bemmerl", einer "undefinierbar alten" kleinen Frau mit Säbelbeinen, die eine Institution in der Amalienstraße ist. Sie war früher eine Fuchzgerl-Schnalle, später machte es sie auch umsonst, "aber da wollte keiner mehr". Viel Applaus im vollbesetzten Schlosssaal.

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