Kempfenhausen:Elegische Musik des Nordens

Kempfenhausen: Der schwedische Pianist Jan Lundgren eröffnete das Seejazz-Festival in Kempfenhausen.

Der schwedische Pianist Jan Lundgren eröffnete das Seejazz-Festival in Kempfenhausen.

(Foto: Ulfers)

Das Seejazz-Festival eröffnet fulminant virtuos und poetisch

Von Reinhard Palmer, Kempfenhausen

Es ist für einen Jazzmusiker schwierig, einen eigenen und vor allem "heimatlichen" Stil zu prägen, und es damit auf internationale Bühnen zu schaffen. Das ist dem Pianisten Jan Johansson (1931 - 1968) nur begrenzt gelungen, allerdings möglicherweise deshalb, weil er mit seinem kurzen Leben von nur 37 Jahren nicht genügend Zeit dafür bekam. Umso größer war sein Einfluss auf die schwedischen Jazzmusiker. Wenn der Pianist Jan Lundgren also "A Tribute to Jan Johansson" unter sein Ystad-Projekt schreibt, dann geht es eben an die Wurzeln des schwedischen Jazz und damit tief in die Seele der Skandinavier. Einmal mehr also ein besonderes Jazzerlebnis zur Eröffnung des diesjährigen 4. Seejazz-Festivals im ausverkauften Rittersaal des Kempfenhauser Schlosses. Die unter der Regie mehrerer Konzertveranstalter rund um den Starnberger See konzipierte Konzertreihe zielt aufs Summerfeeling ab. Lundgren nahm sein Publikum auf weite Reisen mit, griff er doch Johanssons Idee auf, schwedische, russische und ungarische Folklore mit dem Jazz zu liieren.

Im Triangel zwischen Lundgrens persönlichem Stil, dem Vorbild Johanssons sowie der schwedischen Mentalität entstand eine überaus melancholisch-poetische Musik. Ystad, wo Lundgren ein Jazzfestival künstlerisch leitet, ist ein beschauliches Hafenstädtchen - bekannt aus der Verfilmung Mankells Kommissar Wallander. Es ist in eine Atmosphäre getaucht, die in der Musik Lundgrens mitschwingt und mit dem Kempfenhauser Ambiente perfekt harmonierte. Wie Johansson pflegt Lundgren dabei eine enge Zusammenarbeit mit dem Kontrabass, den hier virtuos und vielseitig Mattias Svensson zupfte oder auch perkussiv schlug. Offenbar entstammt dieser Ansatz dem musikantischen Kontext der Folklore, die in der elegischen Musik des Nordens vor allem für den körperhaften Klang zu sorgen hatte. Andererseits ging Lundgren mit dem Einsatz des Bonfiglioli Weber String Quartet noch weiter in die kammermusikalische Richtung, die auch seiner Vorliebe für Kombinationen mit klassischer Musik ein Stück entgegenkam. Melismenreiche barocke Spielarten bestimmten immer wieder den Duktus des melodisch denkenden Pianisten.

In Anbetracht dessen, dass die ungarische Kultur ihre Wurzeln mit Finnland teilt und in der schwedischen Volksmusik die Polka (polnischer Tanz, der sich im 19. Jahrhundert in Schweden etablierte) eine wichtige Rolle spielt, ging es durchwegs um die slawisch-nordische Musik, die vor allem die elegische Ausdehnung pflegt. Auf die waren die Streichersätze in den Balladen ausgerichtet, in denen sich der Blick hörbar in die Weiten der Landschaften richtete. Und war das Ausgangsmaterial schlicht und ausgesprochen lyrisch orientiert, blieb zur Weiterentwicklung nur das plastische Anschwellen der Substanz und Intensivieren der Klangfarben, um imposante Höhepunkte auszuarbeiten. Gelegentlich kristallisierte sich aus der Rhythmisierung der Themen ein Groove heraus, meist in bluesiger Gangart, dann bekamen auch die Streicher die Chance, packende Akzente zu setzen. Vor allem in den ungarischen Stücken, die einst Johansson mit dem dänischen Violinisten Svend Asmussen erarbeitet hatte und die in Kempfenhausen ins Wilde abdriften durften. Mit Johanssons "Hey, Pippi Langstrumpf" aus Astrid Lindgren-Verfilmungen gab es auch eine humorvolle Zugabe. Ein beseelter Jazzabend.

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