Josef Jägerhuber wird 90:Der Starnberger Wetterprophet

Josef Jägerhuber wird 90; Josef Jägerhuber wird 90

90 Jahre alt wird Josef Jägerhuber am Ostermontag. Aber immer noch arbeitet er jeden Tag in der Druckerei. Und auch das Wetter beobachtet er täglich.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

In seiner Starnberger Druckerei wurden Lebensmittelmarken gedruckt und später der Land- und Seebote. Bekannt machten ihn aber vor allem seine Wetterprognosen, auch wenn sie nicht immer eintreffen.

Von Christiane Bracht

Die Knie schmerzen. Das Aufstehen fällt schwer. Aber Josef Jägerhuber rappelt sich trotzdem auf. Jeden Morgen geht er auf seinen Balkon im dritten Stock - egal ob die Sonne scheint, es regnet oder schneit, und blickt hinaus auf den Starnberger See, freut sich, wenn er die Gebirgskette am Horizont sieht und etwas weiter rechts St. Joseph. Ja, das ist Starnberg. Hier fühlt er sich wohl. In der Ecke, ganz unspektakulär, steht sein Hobby: die Wetterstation.

Seine Vorhersagen haben Jägerhuber bekannt gemacht, nicht nur in Starnberg, sondern in ganz Deutschland, ja sogar weit über die Landesgrenzen hinaus bis Kalifornien. Davon erzählt er gern, auch dass die Reporter sich manchmal die Klinke in die Hand geben, wenn es so wichtige Fragen zu klären gilt, wie "Friert der Starnberger See dieses Jahr zu?" oder "Wann wird es endlich Sommer?". Fernsehteams von Privatsendern drängen sich dann auf dem schmalen Balkon, um Jägerhuber und seine Prognosen ins rechte Bild zu setzen.

Doch am Montag, wenn der Starnberger Hobbymeteorologe seinen 90. Geburtstag feiert, wird alles sein wie immer - ganz unspektakulär. "Nein, da kommt niemand", sagt er bescheiden. Also wird Jägerhuber die Kurve seines Barometers genau beobachten, die Temperatur mit Bleistift in seinen kleinen Kalender notieren und die Niederschlagsmenge prüfen. Er wird gen Himmel schauen und seine Beobachtungen aufschreiben. Denn sie sind wichtig für seine Vorhersagen, die er jedes Jahr Anfang Januar abgibt. Seit 1960 zeichnet Jägerhuber jeden Tag das Wetter auf. Anhand des 100-jährigen Kalenders und einiger Bauernregeln prophezeit er dann, ob der Winter kalt, der Sommer nass ist, und wann der erste Schnee zu erwarten ist. Manch einer richtet seine Urlaube sogar nach Jägerhubers Prognosen, auch wenn sie des öfteren nicht stimmen. Aber das ficht ihn nicht an. Er freut sich, wenn er Recht hatte. Dass Jörg Kachelmann ihn vor Jahren der "Scharlatanerie" bezichtigte, hat er bis heute nicht vergessen.

Aber Jägerhuber nur auf seine Wettervorhersagen zu reduzieren, ist zu kurz gegriffen. Der 90-Jährige geht trotz seines hohen Alters immer noch seinem Beruf nach. Auch wenn das Laufen und Treppensteigen ihm Probleme bereitet, so steigt er jeden Tag die drei Stockwerke hinab in sein Büro in der Druckerei, die er mit 21 Jahren von seinem Vater übernommen hatte. "Wir waren die ersten die nach dem Krieg von den Amerikanern eine Lizenz bekamen", erzählt er. "1945 haben wir Passierscheine gedruckt und Lebensmittelmarken für sieben Landkreise. Und Weihnachten 1948 waren wir die erste Heimatzeitung in Bayern, die gedruckt werden durfte." Gut, anfangs war der Land- und Seebote eher eine Art Amtsblatt. Jägerhuber selbst musste durch den ganzen Landkreis laufen, von Tutzing bis Machtlfing und zurück, um Abonnenten zu gewinnen. "Das war eine Klinkenputzerei", stöhnt er noch heute. "Die ersten Jahre waren kein Honigschlecken." Drei Mal in der Woche erschien der Land- und Seebote. "Mehr war aus finanziellen Gründen nicht möglich", sagt der Jubilar. Am Ende war aber genau das sein Untergang, denn die Konkurrenz des Merkur, der täglich erschien, war zu mächtig. 1990 musste Jägerhuber den Land- und Seeboten einstellen. 15 bis 20 Stunden arbeitete er jeden Tag, "aber das war nicht schlimm. Ich war froh, frei zu sein und wieder daheim."

1944 musste er zum Reichsarbeitsdienst nach Norddeutschland. "Da haben sie uns gezwiebelt. Von sechs Uhr in der früh bis nachts mussten wir mit dem Spaten arbeiten", erzählt er. 1945 kam er an die Ostfront. Nach der Großoffensive musste Jägerhuber als Funker einen Flüchtlingstreck von der russischen Grenze bis Oberschlesien begleiten. Ein Lungensteckschuss verwundete ihn schwer. "Zehn Splitter habe ich noch immer im Körper, einer sitzt einen Zentimeter hinterm Herzen", sagt Jägerhuber. Die Kriegszeit war ein einschneidendes Erlebnis für den Starnberger. Jedes Datum weiß er genau, erzählt, als wäre alles erst gestern geschehen. Urlaub in fernen Ländern hat Jägerhuber danach nie mehr gemacht. Er war viel zu froh, wieder in der Heimat zu sein.

Zu den Höhepunkten gehörten für ihn immer die Spritztouren mit seinem Motorrad, einer BMW R51/2, durchs Oberland. Aber die Maschine hat der 90-Jährige schon vor einiger Zeit seinem Enkel vermacht. "Der Rennfahrer und Autohausbetreiber Schorsch Maier war immer neidisch darauf. So eine hat er nicht in seinem Museum", freut sich Jägerhuber. "150 000 Kilometer bin ich damit gefahren. Ich war ein leidenschaftlicher Motorradfahrer." Mit 80 Jahren saß er noch im Sattel seiner Maschine.

Auch wenn Jägerhuber an seinem Ehrentag in seinem Büro sitzt und Texte Korrektur liest, damit sie gedruckt werden können - von Kollegen, denn die eigene Druckerei ist schon vor ein paar Jahren stillgelegt worden: Seine Freunde haben den Jubilar nicht vergessen. Die Feuerwehrler, deren Ehrenvorstand er ist, haben ihn bereits zum Weißwurstessen eingeladen - eine Woche später. "Jetzt sind alle in Urlaub", weiß Jägerhuber. 35 Jahre lang leitete er die Truppe, war bei jedem Brand dabei, baute das Vereinsheim und veranlasste die Fahnenweihe - alles neben Beruf und Familie nebenher. Heute ist er der letzte Lebende, der noch vom Einsatz im brennenden Alten Peter im April 1944 in München erzählen kann, als die Stadt, schwer von Bomben getroffen, im Flammenmeer zu versinken drohte. "Das war ein Feuersturm, das kann sich niemand mehr vorstellen", erinnert sich Jägerhuber und beginnt sofort zu erzählen, welch ein Drama es war, als die Glocke im Alten Peter runter zu sausen drohte und "wir gerade noch aus dem Turm kamen". Auch an den schweren Brand im Undosa nach den Bombenabwürfen im September 1943 kann er sich noch gut erinnern.

Aktiv war der Starnberger auch 39 Jahre im Aufsichtsrat und Vorstand der Raiffeisenbank. 1987 verlieh ihm die Stadt für sein großes ehrenamtliches Engagement die goldene Bürgermedaille. Darauf ist Jägerhuber noch heute stolz.

Und wenn man ihn fragt, ob der Frühling nun endlich kommt, sagt der Hobbymeteorologe: "Das dauert noch lang. Im März und April gibt es noch keinen Frühling. Das habe ich ja schon gesagt." Ob er dieses Mal recht hat?

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