50 Jahre Doc Martens:Das Geschäft mit der Luft

Vor 50 Jahren wurden aus den Schuhen mit Polstersohle, die der Landarzt Klaus Maertens entwickelt hatte, die gefragten Doc Martens. Eine Geschichte vom Südzipfel des Starnberger Sees.

Karl-Wilhelm Götte

Einiges steht noch da wie vor 60 Jahren. Da ist der Flachbau mit der alten Werkstatt und dem Schuhlager daneben. An der Eingangstür des Wohnhauses prangt noch das Schild "Dr. med Maertens" und darunter "Luft-Polster-Schuhe". Klaus Maertens war vor allem Landarzt, dann erst Erfinder der Dr.-Maertens-Schuhe. "Er sprühte immer vor vielen Ideen", erinnert sich Ehefrau Elisabeth Maertens auf der Terrasse ihres Hauses in Seeshaupt am Südzipfel des Starnberger Sees. "Davon hatten sich die meisten jedoch schnell wieder erledigt."

Doc Martens

Mit Arbeitercharme haben die Docs nicht mehr viel zu tun.

(Foto: Doc Martens)

Doch die Idee mit der Luftpolstersohle verfolgte er nachhaltig und fand in seinem Studienfreund Herbert Funck einen Partner, der das gemeinsame Projekt akribisch umsetzte.

1960 verkauften Maertens und Funck die Produktionslizenz für die Luftpolstersohle an die Firma Griggs&Co. nach Northampton. Das englische Unternehmen machte aus dem für Engländer schwierigen Umlaut "Martens" und verkauft seit 50 Jahren die "Doc Martens". Nach einer kurzen wirtschaftlichen Talfahrt sind die Stiefel mit den berühmten acht Ösen und der Sohle aus "Air Wair" wieder gefragt. Der Umsatz ist auch dank prominenter Träger, wie Lady Gaga oder Jessica Alba, vergangenes Geschäftsjahr wieder auf 101 Millionen Euro gestiegen und Griggs hat rund sechs Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet.

Davon profitieren die Söhne von Klaus Maertens und Herbert Funck noch heute. "Wir sind eine Patentgemeinschaft", erzählt Max Maertens. Er hatte 1987, ein Jahr bevor sein Vater mit 72 Jahren starb, seinen Job als Versicherungskaufmann aufgegeben und sich um die Lizenzvermarktung der Luftpolstersohle gekümmert. In Seeshaupt gab es bis 2003 einen direkten Verkauf und Versand der ursprünglichen "Dr.-Maertens-Schuhe", die ab 1952 in München-Pasing in einer von Maertens und Funck eröffneten Fabrik produziert wurden.

Heute werden diese Stiefel - etwa 5000 Stück pro Jahr - in Ungarn gefertigt. "Ich bekomme immer noch jede Woche einen Anruf, ob ich nicht noch ein Paar Schuhe liefern könnte", erzählt Elisabeth Maertens. Die heute 88-jährige Witwe hatte sich einst um die Kundendatei gekümmert, die 40000 Adressen umfasste.

"Herbert Funck war der kongeniale Partner meines Vaters", sagt Max Maertens. Klaus Maertens, der aus Braunschweig stammte, galt eher als ungeduldig. "Bei ihm musste alles schnell gehen", sagt seine Frau rückblickend. Funck hingegen war ein Tüftler, der eine Sache zu Ende bringen wollte. Der Diplom-Ingenieur für Kunststofftechnik konnte als gebürtiger Luxemburger nach Kriegsende über alle Grenzen reisen und zumeist aus Militärbeständen das benötigte Material beschaffen. Vom Militärflughafen in Oberschleißheim holte er viele Tonnen Gummi für die elastische Sohle ab und aus einer Lederhose von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren konnten zwei Paar Schuhe genäht werden.

Die berühmte Sohle besteht bis heute aus einem gekammerten Absatz und einer Schaumgummisohle vorne. "Die dehnt sich und zieht sich zusammen", erläutert Max Maertens und hält dabei seinen rechten Schuh in die Höhe. "Dr. Martens" sind nicht billig, aber mit etwa 160Euro noch erschwinglich. In 50 Jahren erlebten die Schuhe ihr Auf und Ab, genauso wie berühmte und umstrittene Träger. Einst ein Arbeiter- oder Polizistenschuh fand der kurze Stiefel Eingang in die Musikszene. Die Rockgruppe "The Who" machten sie Ende 1960 populär. Der verstorbene Papst Johannes Paul II. hat sie als Halbschuhe getragen, genauso wie viele Mitarbeiter des Vatikans. Aber auch bei den Skinheads gehörten sie zum bevorzugten Schuhwerk.

Die Firma Griggs lässt seit 2003 in Asien produzieren. Die Patentgemeinschaft Maertens und Funck hat ein Interesse an einer möglichst großen Produktion. Daran ist sie mit einer Lizenzgebühr pro Paar Schuhe beteiligt. "Die betrifft jedoch nur die Sohle", klärt Max Maertens auf und steht vor einer Wand mit Ordnern, die mit fast 200 Ländernamen beschriftet sind. "Nur Südamerika ist ein weißer Fleck", sagt er, "sonst werden die Dr. Martens Boots überall gehandelt." Da müsse er jeder Produktpiraterie und Lizenzverletzung nachgehen.

Das macht sehr viel Mühe, Maertens hat deshalb zusätzlich eine Anwaltskanzlei eingeschaltet. Doch richtig sei auch: "Wenn niemand mehr etwas kopiert, macht das auch nachdenklich. Bis zu einem gewissen Grad ist das ja ein Kompliment."

Dass die Lizenzgebühren aus England nach 50 Jahren immer noch fließen, ist erstaunlich. "Das liegt daran, dass es nach wie vor zwei Familien sind", zeigt sich Maertens überzeugt. "Wir sind uns freundschaftlich verbunden und treffen uns einmal im Jahr abwechselnd in England und in Seeshaupt - häufig zur Oktoberfestzeit." Insgesamt 250 Schuhmodelle, auch Sandalen sind darunter, werden von der Griggs Company produziert. "Hier ist das Jubiläumsmodell von 2010", sagt Max Maertens stolz und holt einen schicken roten Schuh mit der typischen gelben Naht und der Aufschrift "Dr. Air Wair Martens" aus einem Karton.

Davon sind nur 50 angefertigt worden und Maertens zeigt auf eine Zahl: "Dies ist die Nummer sechs." Dann zieht er noch ein Buch hervor, das eine Rangfolge der weltweiten Marken aufgestellt hat. An Nummer eins wird McDonalds geführt, an zwei Coca Cola. Maertens blättert zweimal um und zeigt mit dem Finger drauf: "Dr. Martens ist die Nummer hundert."

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