Interview:"Ich war nie in Cannes"

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Festivalleiter Matthias Helwig und seine Mitarbeiterin Barbara Kontae sprechen darüber, welche Filmfeste sie besuchen, nach welchen Kriterien sie Produktionen auswählen und wie die Verhandlungen mit den Verleihern ablaufen

Interview von Astrid Becker, Starnberg

Es sind 180 Filme, die beim 11. Fünfseen-Filmfestival auf 17 Leinwänden zu sehen sein werden. Das klingt enorm, vor allem, wenn man bedenkt, dass kein Kinobetreiber dieser Welt, nicht einmal Matthias Helwig, diese Streifen einfach so zeigen kann wie jemand, der sich zuhause aus dem Internet einen Film herunterlädt und dafür allenfalls eine kleine Leih- oder Kaufgebühr entrichten muss. Soll ein Film vor Publikum gezeigt werden, muss nicht nur eine Reihe von Vorschriften dazu beachtet werden, sondern auch eine Menge Geld fließen. Die SZ sprach mit Matthias Helwig und seiner Mitarbeiterin Barbara Kontae darüber, wie sie es jedes Jahr aufs Neue bewerkstelligen, für die Liebhaber der bewegten Bilder ein umfangreiches Programm zusammenzustellen.

SZ: Wo haben Sie denn die Filme her?

Matthias Helwig: Mein Team und ich sind für die Filme im Jahr auf verschiedenen Festivals unterwegs, auf der Berlinale, in Hof, in Wien, in Graz, in Solothurn und in den vergangenen Jahren auch immer wieder mal in Istanbul. Dort war ich diesmal aber nicht, man hat im vergangenen Jahr dort zu sehr gespürt, wie aus der Türkei ein Polizeistaat wird. Dort schaut man sich Filme an und entscheidet dann, ob sie was für das eigenen Festival oder für das Kinoprogramm sind.

Barbara Kontae: Manche Festivals teilen wir uns im Team auf. Zur Berlinale zum Beispiel fahren wir immer zu mehreren Leuten, das schafft man sonst gar nicht. Ansonsten war ich zum Beispiel diesmal beim Filmfestival Crossing Europe in Linz, der Matthias bei der Biennale in Venedig, wieder andere bei den Solothurner Filmtagen. Sie sehen: Wenn man Filme vorführen will, kommt man schon ein wenig herum.

Nach welche Kriterien entscheiden Sie, welcher Film für Sie das Richtige ist?

Matthias Helwig: Sie müssen sich das so vorstellen wie bei der Literatur. Da kennt man ja auch die Autoren und schaut dann mal, was sie so Neues bringen. So ist es auch beim Film. Auch dort kennt man die Handschrift der Regisseure. Und wenn man sie eben noch nicht kennt, schaut man sich deren Filmografie an und entscheidet dann, was vielleicht interessant sein könnte. Viel wichtiger als man vielleicht denken könnte, sind übrigens die Texte zu den Filmen, die man ja auch suchen muss. Wenn dort bestimmte Formulierungen oder Wörter vorkommen, ist es unmöglich, das Publikum dafür zu gewinnen. Beispiel Nationalsozialismus, Auschwitz, Krieg, Tod. Wenn hingegen das Ganze mit einer Liebesgeschichte gepaart wird, funktioniert es wieder.

Barbara Kontae: Natürlich sprechen wir unsere Kriterien ab. Aber am Ende gibt das persönliche Gefühl den Ausschlag. Wichtig für unser Festival sind Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum, also auch aus Österreich oder der Schweiz.

Wie muss man sich das vorstellen? Gehen Sie zu so einem Festival, machen sich einen Plan, wann Sie was sehen?

Matthias Helwig: Den Plan gibt es schon. Doch den schmeißt man bei den Filmfesten, vor allem bei den großen, immer wieder um - einfach, weil das Angebot so riesig ist und man selbst eine Auswahl treffen muss. Bei den kleineren sind die Filme ja bereits ausgewählt. Ich nenne da noch mal Istanbul als Beispiel. Da bin ich immer gerne hingefahren, weil dort eine gute Kuratorin sitzt, auf deren Auswahl ich mich verlassen kann.

Barbara Kontae: Auch hier spielt das persönliche Interesse an einem Film mit hinein. Und es gibt ja auch Filme, von denen man im Vorfeld schon weiß,dass man sie gerne zeigen würde. Ob man sie dann allerdings bekommt, ist ein ganz andere Thema.

Cannes haben Sie gar nicht genannt - interessiert Sie das nicht?

Matthias Helwig: Ich war nie in Cannes. Das bringt uns nichts, ebenso wenig wie München. Wir wollen nichts nachspielen, sondern unsere Filme sollen noch nicht im Kino gelaufen sein und eben auch nicht beim Münchner Filmfest. Das wäre auch Unsinn, die haben dort ein ganz anderes Budget als wir.

Gut. Reden wir über Geld.

Matthias Helwig: In München gibt es für das Filmfest einen Etat von drei Millionen Euro. Wir haben 250 000 Euro. Wenn ich für eine Vorstellung vom Zuschauer neun Euro verlange, bleiben mir als Kinobetreiber 50 Cent.

Das ist nicht gerade üppig. Wie kommen Sie dann auf Ihre Kosten?

Matthias Helwig: Es ist ein Unterschied im Preis, den man beim Verleiher für einen Film zahlen muss. Wenn ich für den regulären Kinobetrieb Rechte erwerbe, zeige ich ihn öfter. Auf dem Festival sind die Filme in der Regel nur ein Mal oder zwei Mal zu sehen, dann wird es günstiger. Nur: Man muss kräftig verhandeln. Wie am Basar.

Barbara Kontae: Oh ja. Es geht dabei tatsächlich zu wie auf einem Basar. Und man muss schnell sein. Denn sonst kann einem passieren, dass einem die Filme, die man haben möchte, mehr oder weniger vor der Nase weggeschnappt werden. Aber das macht auch Spaß, denn es ist schon ein persönliches Erfolgserlebnis, wenn man es durch Verhandlungsgeschick fertigbringt, den Zuschlag zu bekommen.

Kosten denn alle Filme gleich viel?

Barbara Kontae: Nein, das ist es ja gerade. Wir überlegen uns im Vorfeld, wie viel uns ein Film wert ist. Vieles hängt davon ab, ob der Film von einer Festivalagentur weltweit gehandelt wird oder ob es bereits einen deutschen Verleih gibt. Dann ist es zum Beispiel durchaus üblich, für Wettbewerbsbeiträge keine Vorführgebühren zu bezahlen, wenn wir garantieren, den Film nach dem Festival regulär in den Breitwand-Kinos zu spielen. Da zahlen wir dann natürlich für die Rechte.

Matthias Helwig: Der Preis hängt auch mit der Aufmerksamkeit zusammen, die ein Film erregt, und von seiner Promotion. Ich muss da immer eine Mischform finden - zwischen anspruchsvolleren Filmen, die vielleicht nicht acht Mal gezeigt werden können und nur ein bestimmtes Publikum erreichen, und denjenigen, die viele Menschen unbedingt sehen wollen und die ich dann öfter zeigen kann. Ich brauche ja Leute, sonst kann ich nicht existieren. Auch beim Festival.

© SZ vom 27.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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