Internationaler Frauentag:"Es gibt zu wenig Bürgermeisterinnen"

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Christine Borst ist seit zehn Jahren Bürgermeisterin. Auf ihrem Schreibtisch steht eine Frauenskulptur der Gautinger Künstlerin Rosemarie Zacher, die sie bei einer Ausstellung erworben hat. (Foto: Georgine Treybal)

Kraillings Rathaus-Chefin Christine Borst sagt, dass sie keine Feministin ist. Aber Gleichberechtigung ist ihr natürlich wichtig.

Interview von Carolin Fries

Krailling - "Frauen sind nicht die besseren Bürgermeister", sagt Christine Borst, "aber es gibt einfach zu wenig." Die 63-Jährige leitet seit zehn Jahren die Gemeinde Krailling, zuvor hatte sie eine Firma für Veranstaltungsorganisation und Eventmarketing. Seit drei Jahren setzt sie sich mit der Arbeitsgemeinschaft "Frauen führen Kommunen" des Bayerischen Gemeindetags dafür ein, dass die Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik möglichst bald der Vergangenheit angehört.

SZ: Wie kam es zu dieser Arbeitsgruppe?

Christine Borst: Ich war 2014 mit mehreren Kolleginnen aus Bayern bei einem Kongress in Berlin mit dem Titel "Frauen führen Kommunen". Ich dachte, dort insbesondere aus den neuen Bundesländern viele Kolleginnen zu treffen. Doch es ist überall gleich: Nur jede zehnte Kommune wird von einer Frau geführt, in Bayern sind es mit 8,8 Prozent sogar noch weniger. Ich bin dann mit dem Auftrag zurückgeschickt worden, da doch etwas zu unternehmen.

Der Bayerische Gemeindetag schien Ihnen als gute Anlaufstelle.

So nebenbei geht das ja nicht, dafür braucht man einen Partner. Der damalige Geschäftsführer Jürgen Busse stand dem total aufgeschlossen gegenüber und hat sofort gesagt: "Super, das mach' mal."

Wie viele Frauen gehören zum Kern der Arbeitsgruppe?

Aus jedem Regierungsbezirk eine, also sieben Frauen.

Warum erschien Ihnen eine Arbeitsgruppe als geeignetes Mittel gegen diese Unterrepräsentanz? Sie hätten doch auch an die Parteien zu mehr Frauenförderung appellieren können.

Das Problem ist, dass die Frauen nicht so gut vernetzt sind wie die Männer. Da haben wir mit unserer Initiative schon ziemlich viel erreicht. Die 178 Bürgermeisterinnen, die es in Bayern gibt, sind inzwischen gut vernetzt. Es gibt auch Kontakte mit Nord- und Südtirolerinnen sowie mit französischen Bürgermeisterinnen. Das Zweite ist: Um neue Frauen anzusprechen, ist die Vorbildfunktion wichtig. Frauen müssen sehen, dass es Frauen gibt, die Familie haben und es trotzdem schaffen.

Woran liegt es denn, dass so wenig Frauen in der kommunalen Politik Spitzenpositionen besetzen? Im Bundestag klappt es ja auch, 36 Prozent der Abgeordneten sind Frauen.

Und das Kabinett, dass Angela Merkel jetzt vorgestellt hat, besteht zur Hälfte aus Frauen. Es ist jedenfalls nicht mehr so, dass Frauen nicht gewählt werden. Aber sie haben einfach Bedenken, weil sie im Ort wohnen, weil sie hier Familie haben. Sie haben Bedenken, durch die Presse gezogen zu werden.

Es fehlt an Selbstbewusstsein?

Auch. Hinzu kommen natürlich die Arbeitszeiten. Sieben Tage die Woche mit Abendterminen, dazu Veranstaltungen am Wochenende, das ist einfach nicht besonders familienfreundlich. Es ist halt doch noch so, dass die Frauen mehr zuhause sind als die Männer. Da kann man vielleicht einen normalen Beruf machen, aber Bürgermeister ist halt kein normaler Beruf.

Ist auch das Nominierungsverhalten in den Parteien ein Problem?

Davon wurde uns auch berichtet. Und es zeigt sich ja immer wieder, dass Frauen meistens kommen, wenn's brennt. Das wird sich sicher in Zukunft ändern.

Im Landkreis Starnberg werden sechs von 14 Rathäusern von Frauen geführt. Wie lässt sich das erklären?

Das ist das Umfeld von Großstädten. In Stadtnähe geht es noch einigermaßen. Weiter draußen am Land sieht es düster aus. Kolleginnen auf dem Land bekommen schon mal zu hören: "Madl, was willst denn Du überhaupt?" Wahrscheinlich herrschen dort noch mehr die alten Rollenklischees vor, dass Frauen nichts zu sagen haben. Ich habe mir das lange nicht vorstellen können. Als ich anfing, waren wir im Würmtal vier Frauen und ein Mann. Ich bin gar nicht darauf gekommen, dass es da ein Problem gibt.

Inzwischen hat sich Ihr Blick geschärft.

Wenn mir mal jemand gesagt hätte, dass ich mal so ein Frauenthema bearbeite . . . Ich bin ja überhaupt keine Feministin, sondern für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Aber ich bin so ein Gerechtigkeitsmensch: Es kann doch nicht sein, dass an so einer Schlüsselstelle nur die männliche Sicht - es ist definitiv eine Frage der Sicht - so dominiert.

Was qualifiziert Frauen in ihren Augen ganz besonders für das Bürgermeisteramt?

Früher gab es in vielen Gemeinderäten absolute Mehrheiten. Das ist inzwischen die Ausnahme. Ich meine, da haben Frauen schon Kompetenzen, alle unter einen Hut zu bringen. Das können die meisten Frauen besser als Männer.

Und trotzdem werden es eher weniger als mehr.

Die Rahmenbedingungen sind schwierig. Wenn Sie heute gewählt werden, zum Beispiel im Alter von 40 Jahren, und der Bürger sagt nach sechs Jahren, er braucht ein neues Gesicht: Dann sind Sie mit 46 Jahren schlimmstenfalls Hartz IV-Empfänger. Sie kriegen kein Arbeitslosengeld, weil Sie vorher Beamter waren. Wenn man in Zukunft gute Leute in der Kommunalpolitik haben will, sollte man da was ändern.

Inwiefern?

Ich denke, dass es da zumindest Übergangsregelungen geben müsste. Eine Art Überbrückungsjahr, um in einem neuen oder dem alten Beruf wieder Fuß fassen zu können. Wir diskutieren außerdem Jobsharing-Modelle, wie es sie in Dax-Vorständen gibt. Aber das ist schwierig. Es müsste ja dann so sein, dass zwei Personen gemeinsam kandidieren und gewählt werden.

Sie waren Anfang 50 und hatten eine eigene Firma, als Sie kandidierten. Haben Sie lange gegrübelt damals?

Ja, ich habe schon eine Zeit lang überlegt, ob ich es mache. Ich habe meinen Beruf leidenschaftlich gern gemacht.

Welches Argument hat es dann entschieden?

Einfach die Möglichkeit, in der Mitte des Lebens noch einmal etwas ganz neues zu machen. Das hat mich gereizt.

Hätten Sie sich auch mit Mitte dreißig so entschieden?

Ich glaube nicht, dass ich den Job mit kleinen Kindern gemacht hätte.

Müssen Frauen sich mehr anstrengen?

Ich denke alle Frauen in Führungspositionen müssen schon einen Tick besser sein. Ich weiß nicht warum, aber es ist so.

Beate Weber, bis 2006 Oberbürgermeisterin in Heidelberg hat einmal gesagt: "Gleichberechtigung haben wir erreicht, wenn eine völlig unfähige Frau in eine verantwortungsvolle Position aufrückt."

Das ist ein guter Satz.

Untersuchungen der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) zufolge wird von Frauen erwartet, sozialer zu kommunizieren. Sie dürfen sich keinen Fehler erlauben. Ihr Privatleben steht unter stärkerer Beobachtung als das von männlichen Bürgermeistern. Stimmen Sie zu?

Das äußere Bild wird bei Bürgermeisterinnen sicher mehr beachtet. Wenn Sie sich Helmut Kohl anschauen: Da hat kein Mensch was gesagt. Und bei Frau Merkel wird jede Haarspitze kommentiert.

Die Arbeitsgruppe hat zuletzt eine Gesundheitswoche nur für Frauen veranstaltet ...

Das war sehr spannend. Dieses Seminar bietet der Gemeindetag geschlechtergemischt jedes Jahr an. Jetzt fand es erstmals nur für Frauen statt. Ich habe festgestellt, dass dort bestimmte Dinge offener angesprochen wurden. Frauen geben öfter zu, auch mal einen Fehler gemacht zu haben. Das ist mir aufgefallen.

Haben Sie jemals Ablehnung als Frau im Amt erlebt?

Nein, als Frau nicht. Ich hatte eine andere Problematik. Als ich begonnen habe, hatte die CSU noch die Mehrheit im Gemeinderat, dennoch wollte ich nie etwas durchdrücken, sondern alle mitnehmen. Das stieß anfänglich auf Misstrauen.

Sie arbeiten etwa 60 Stunden pro Woche, im vergangenen Jahr sind Sie krankheitsbedingt für einige Wochen ausgefallen.

Das war ein klassischer Erschöpfungszustand. Der Körper reagiert, der Kopf weiß es noch nicht. Ich war vollkommen ausgelaugt, dabei habe ich grundsätzlich Kraft ohne Ende.

Arbeiten Sie jetzt weniger?

Ich versuche jetzt, wenigstens einen Tag am Wochenende gar nichts zu haben.

Werden Sie in zwei Jahren noch einmal als Bürgermeisterin kandidieren? Das würde bedeuten, dass Sie auch mit Anfang 70 noch arbeiten.

Da werde ich mich im Sommer entscheiden.

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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