Inninger nimmt Flüchtlingsfamilie auf:Enkel aus heiterem Himmel

Erwin Bretscher, ehemaliger Kreisrat der Grünen und Friedensaktivist, nimmt eine syrische Flüchtlingsfamilie bei sich in Inning auf. Und für alle Beteiligten ist das Zusammenleben ein großer Gewinn

Von Astrid Becker, Inning

Für Erwin Bretscher ist es eine "Selbstverständlichkeit": Mitte August hat er eine syrische Flüchtlingsfamilie bei sich aufgenommen. Der seit Jahren vielseitig engagierte Mann zögerte nicht eine Sekunde, als er davon erfuhr, wie dringend das Landratsamt nach privaten Unterkünften sucht. In Inning selbst gibt es außer Bretscher bislang niemanden, der sich dazu bereit erklärte. Dabei, so Bretschers Erfahrung, könnten beide Seiten von so einer Nachbarschaft profitieren - vor allem in menschlicher Hinsicht.

Inning: Familie Hanash hat Dank Familie Bretscher vorrübergehend ein neues Zuhause

Anas Hanash, seine Söhne Alhmza und Hazem (auf dem Arm von Erwin Bretscher) und seine Frau Ghfran Skita wünschen sich ein ganz normales Leben.

(Foto: Nila Thiel)

Es ist eine kleine Idylle, die Bretscher der syrischen Familie anbieten konnte. Über derlei Möglichkeiten, so sagt auch er, könne nicht jeder verfügen. Ein eigenes Haus, nicht groß, dafür aber recht gemütlich, mit einem eigenen kleinen Garten rundherum. Die Familie, die seit Mitte August dort eingezogen ist, hat gleich ein Beet angelegt, Salat und Gemüse angepflanzt. Eine Vogelscheuche wacht über das kostbare Gut. "Sie haben so ein Stück bei mir im Garten gesehen und dann ganz vorsichtig gefragt, ob ich nicht ein paar alte Kleider dafür hätte", erzählt Bretscher. Die Kinder der Familie, Alhmza und Hazem - zwei Buben im Alter von vier und fünf Jahren - kuscheln sich derweil an den ehemaligen Gymnasiallehrer, der ihnen, ganz privat und nebenbei, auch Deutschunterricht gibt. Sie lernten schnell, erzählt Bretscher, ebenso wie ihre Mutter Ghfran Skita, die täglich, wenn ihre Kinder im Kindergarten sind, ihr Deutsch-Repertoire erweitert. Es sind glückliche Gesicher, in die man bei all diesen Erzählungen blickt. Die Familie strahlt, und Bretscher auch.

Inning: Familie Hanash hat Dank Familie Bretscher vorrübergehend ein neues Zuhause

Erwin Bretscher bietet der Familie aus Syrien ein neues Zuhause mit Familienanschluss.

(Foto: Nila Thiel)

Die Sache mit der "Selbstverständlichkeit", von der Bretscher spricht, wenn man ihn fragt, was ihn bewogen habe, eine asylsuchende Familie aufzunehmen, ist sicherlich in seiner eigenen Biografie zu finden. Der heute etwas mehr als 70 Jahre alte Mann ist überzeugter Pazifist, er hat sich viele Jahre in den Friedensbewegung und bei Pro Asyl engagiert, er saß einst für die Grünen im Kreistag und organisierte Mitte der neunziger Jahre unter anderem das Kirchenasyl in Gilching, um die Abschiebung einer kurdischen Familie zu verhindern. Damals, so sagt er heute darüber, habe er sich damit gegen die Vorgehensweise der Behörden gewandt. Heute hingegen, sagt er, arbeite er mit ihnen bestens zusammen. Als Landrat Karl Roth im März in Inning darum warb, private Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, meldete sich Bretscher sofort. Wenig später prüfte das Landratsamt, ob das Häuschen alle Auflagen dafür erfüllt. Schnell und recht unbürokratisch sei das abgewickelt worden, sagt Bretscher. Er selbst dämmte das Dach, weißelte die Wände und räumte die dort befindlichen Möbel hinaus. Das allerdings bedauert er noch heute: "Das waren echte Voglauer, aber das Landratsamt besteht auf Einheitsmöbeln, wohl aus Haftungsgründen." Eine Bitte allerdings äußerte der Inninger, der dem katholischen Pfarrgemeinderat vorsteht, schon. Er wünschte sich eine christliche Familie aus Syrien für sein Häuschen. Syrer wurden es schließlich dann auch, aber keine Christen. Aber das spielt mittlerweile längst keine Rolle mehr. Bretscher, das ist deutlich zu spüren, hat seine "Nachbarn", wie er sie nennt, ins Herz geschlossen. Die Kinder meldete er persönlich im Kindergarten an - als seine Enkel. "Ich habe selbst ja keine." Etwas verblüfft habe die Kindergartenleiterin deshalb dann schon auf diese Aussage reagiert.

Auch die beiden Buben scheinen in Bretscher so etwas wie ihren Großvater zu sehen. "Sie haben keine Erinnerung an ihre Großeltern", sagt auch deren Mutter, die ihre Heimat mit ihrer Familie vor zweieinhalb Jahren verlassen hat. Wenn sie mit ihren Eltern telefoniere, dann fragten die Kinder immer, wer das eigentlich sei, erzählt Ghfran Skita. Apropos Telefon.

An diesem Punkt hat selbst ein Mann wie Bretscher, der auch engen Kontakt zu Flüchtlingen aus anderen Ländern hat, noch dazu gelernt. Denn ein Smartphone zu besitzen ist für Asylsuchende existenziell: "Da regen sich ja manche darüber auf", sagt er. Aber: Mit einem internetfähigen Handy lassen sich über spezielle Apps auch Sprachprobleme lösen. Bretscher ist davon begeistert. Und er hofft, dass dies dazu beiträgt, den Menschen hier die Scheu vor den vermeintlich Fremden zu nehmen. Denn eines ist klar: "Wir brauchen ja mehr private Unterkünfte für Flüchtlinge", sagt er. Im ganzen Landkreis gibt es davon gerade einmal 66.

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