Icking:Nicht warten, bis es vorbei ist

Icking: "Ich sehe sie überall": Alinde Rothenfußer zeigt im Hollerhaus in Irschenhausen ihre Engelbilder.

"Ich sehe sie überall": Alinde Rothenfußer zeigt im Hollerhaus in Irschenhausen ihre Engelbilder.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Alinde Rothenfußers Ausstellung "Drunter und Drüber - Engel aller Orten" im Hollerhaus eröffnet

Von Thekla Krausseneck, Icking

Für die einen ist es ein Blick in die Natur: Halme und Ähren, ein Zweig hängt quer ins Bild, darauf sitzt ein roter Vogel. Für die anderen ist es ein langes geflügeltes Wesen, das über einen grünen Himmel fliegt. Und wer genau hinsieht, das Bild auf sich wirken oder es in sich hineinsinken lässt, der bemerkt vielleicht nach einer Weile die Rostflecken, die dunkel und wahllos aus einer abfotografierten Metallfläche geplatzt sind. Rostflecken, in denen die Künstlerin Alinde Rothenfußer etwas anderes, etwas Schöneres entdeckt hat: Engel. Mit selbstbewusstem Tuschestrich hat sie die Wesen ins sichtbare Spektrum geholt.

"Ich sehe sie überall", sagt Rothenfußer, "in den Wolken, selbst in Flecken." Sie zeigt mit dem Finger auf die weiß verputzte Wand der Galerie Hollerhaus in Irschenhausen - auch dort zum Beispiel, gleich neben der Schattenkante eines Besuchers ihrer Vernissage. "Drunter und Drüber - Engel aller Orten" heißt die Ausstellung, die derzeit im Hollerhaus zu sehen ist, 47 Werke in der von Rothenfußer kreierten Kunstform Alrografie. Was genau es damit auf sich hat, beschreibt die Künstlerin, die sich als solche selbst nur Alinde nennt, mit keinem Wort. Denn auf die Technik, sagt sie, komme es nicht an: "Ich mache da kein Kochrezept draus." Entscheidend sei allein das Gefühl, ja, die Kunst an sich, sagt sie, sei "einfach ein neues Gefühl".

Es braucht Gefühl, um Zugang zu ihren Werken zu finden. Rothenfußers Engel sind keine Putten, sie sind auf den ersten Blick nicht einmal zu sehen, und gar nicht für jene, die sich den Engeln nicht öffnen. Denn diese Engel funktionieren wie Schlüssel: Sie schließen etwas im Inneren des Betrachters auf, lassen es aus ihm herausschlüpfen und in das Bild springen, worauf die Tuschelinien zum Leben erwachen und sich zu einem neuen Sinn ordnen. Was die Betrachter in Rothenfußers Kunst sehen, ist so individuell wie die Betrachter selbst. Und zugleich sind diese Werke eine Einladung in Rothenfußers Welt.

Ein Besucher stellt erstaunt fest, dass alle Bilder in nur zwei Monaten entstanden sein sollen. Rothenfußer, die seit Jahren schwer an Krebs erkrankt ist und deshalb nicht mehr die Energie hat, sich lange unter die Leute zu mischen, verbringt den Abend zumeist zurückhaltend auf einem gestreiften Sofa sitzend, wo sie unablässig besucht wird, von Freunden, Begeisterten, lokaler Prominenz. Klaus Doldinger kauft eines ihrer Bilder: vielleicht ein Engel auf einer spiegelnden Wasserfläche oder ein Tänzer mit ausgebreiteten Armen. So viel Schaffensfreude im Angesicht der Krankheit. Aber nur zwei Monate? "Die wichtigen Dinge passieren in Momenten", sagt Rothenfußer. "Auch Geburt und Tod." Wenn etwas geschieht, wenn sich also etwa ein Engel in einem Fleck oder einem Graffiti-Strich offenbart, dann muss man das annehmen. So wie die Sonne, die nur eine Sekunde lang hinter den Wolken hervorblinzelt. "Man darf nicht warten, bis es vorbei ist", sagt Rothenfußer.

"Offensichtlich will sie, dass niemand sicher ist vor der Überraschung, einen Engel anzutreffen", sagt Elmar Zorn in seiner Eröffnungsrede. Der renommierte Kunstkenner ist ständig in der Welt unterwegs, besucht Galerien in New York und Shanghai und kehrt doch immer wieder gern nach Icking zurück, um Rothenfußers Werke zu sehen. "Das hier ist für mich wie ein Hafen", sagt Zorn. "Und dass wir Alinde haben, ist ein Wunder." Galeristin Lia Schneider-Stöckl setzt bald einen roten Punkt neben ein anderes Werk: verkauft, der Engel mit den riesigen Flügeln vor dem Sonnenunterganghimmel. Oder sind es die Heiligen Drei Könige auf dem Weg zur Krippe, über denen ein kleiner Engel schwebt? Ganz sicher ist es nichts davon - und beides.

Bis 17. Januar. Geöffnet Samstag und Sonntag 14 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung (08178/4408).

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