Holzhausen:Unterm Herzbaum

Der Park des Künstlerhauses Gasteiger in Holzhausen am Ammersee ist beliebtes Ziel von Hochzeitsgesellschaften

Von Armin Greune, Holzhausen

Ein Schloss ist es sicher nicht, und selbst die oft verwendete Bezeichnung "Villa" trifft auf das bescheiden dimensionierte Gebäude kaum zu. Aber immerhin wird das Künstlerhaus Gasteiger in Holzhausen am Ammersee von der Schlösserverwaltung des Bayerischen Finanzministeriums betreut. Das Grundstück des Anwesens hat durchaus herrschaftliche Ausmaße und eine herrliche Lage direkt am Ammerseeufer. Während das Haus mit dem kleinen Museum nur sonntagnachmittags zur Besichtigung offen steht, ist der Landschaftspark immer zugänglich und gewissermaßen Volkseigentum: Als vor 31 Jahren Irene Faber-Gasteiger als einziges Kind des Künstlerpaares Mathias und Anna Sophie Gasteiger starb, erbte der Freistaat das Anwesen. Ein 1,6 Hektar großer Bereich ist seitdem als Badewiese frei zugänglich, doch es dauerte zehn Jahre, bis das Künstlerhaus und der angrenzende Park geöffnet wurden, denn im Haus standen umfangreiche Sanierungen an und weite Bereiche des Geländes waren 1984 überwuchert.

Heute präsentiert sich die Anlage dezent gepflegt. Für die Natur haben die Gärtner großzügige Rückzugsgebiete gelassen: Zwischen See und den Gebäuden nimmt eine Wildblumenwiese den größten Raum ein. Im Spätsommer ist von der Blütenpracht nicht mehr viel übrig geblieben: Wilde Möhre und violette Flockenblume bestimmen das Bild, vereinzelt sind noch blaue Wiesenglockenblume und gelber Pippau zu entdecken. Da sind die Bäume am Rand schon viel imposanter: Eine Eiche ist darunter, deren Stammdurchmesser von 1,50 Meter auf ein Alter von mehr als 200 Jahren schließen lässt. Viel beliebter bei Besuchern aber ist ein kleinerer Solitär, der 30 Meter südlich vom Gasteiger-Haus wurzelt und unter dem eine Parkbank steht: "Weil die Krone herzförmig gewachsen ist, lassen sich dort immer die Brautpaare fotografieren" erklärt Helga Schraidt, Kastellanin des Künstlerhauses. Geheiratet wird reichlich im Gasteiger-Haus: Zwischen 100 und 200 Paare lassen sich dort jährlich trauen. Außer den rund 2500 Hochzeitsgästen kann Schraidt noch etwa 1500 Museumsbesucher im Jahr begrüßen.

Bohème am Bauernsee

1898 hatte der damals schon recht erfolgreiche, 28-jährige Bildhauer Mathias Gasteiger die seinerzeit 21 Jahre alte Anna Sophie geheiratet. Trotz ihrer Jugend hatte sie bereits Preise für Fliesenentwürfe erhalten und galt als vielversprechendes Talent. 1902 erwarb das Paar das mehr als vier Hektar große Gelände am Ammersee als Sommersitz - wohl vor allem, weil beide gerne segelten. "Als es gelungen war, die sauren Wiesen an die vermeintlich dummen Städter zu verkaufen, haben die Bauern eine Riesen-Sauforgie beim Wirt veranstaltet", erzählt Helga Schraidt, Kastellanin und Witwe von Walter Schraidt, dem Neffen von Mathias Gasteiger. Einige Jahre später haben die frommen Holzhauser vermutlich empört über die rauschenden Feste getuschelt, die Gasteigers auf der "sauren Wiese" veranstalteten, die an einem Badesteg endete. Es darf getrost angenommen werden, dass diese ungezwungenen Künstlerpartys damals kaum den begrenzten Moralvorstellungen der ländlichen Bevölkerung entsprachen. Auf der Suche nach einem neuen, naturverbundenen Lebensstil feierte sich die reformbewegte Münchner Bohème selbst: Olaf Gulbransson, Thomas Theodor Heine, Eduard Thöny und wohl auch Ludwig Thoma waren öfter zu Gast in Holzhausen.

Mathias Gasteigers Ruf war in sittlich gefestigteren Kreisen ohnehin längst ruiniert. Hatte er es doch gewagt, sein 1895 am Münchner Stachus aufgestelltes "Brunnenbuberl" mit allen geschlechtsspezifischen Attributen auszustatten - obwohl Prinzregent Luitpold höchstpersönlich um ein Feigenblatt für den "unstilisiert nackten" Knaben gebeten hatte. Der erfolgreichen Verbreitung der eigentlich als "Satyrherme und Knabe" benannten Figurengruppe tat dies freilich keinen Abbruch: Sie wurde zehn Mal angefertigt und steht heute nicht nur mehrfach in München, sondern auch etwa in Berlin und Erlangen.

Das Künstlerpaar habe zu Beginn den Münchner Jugendstils mitgeprägt, beide "stehen für den Übergang vom floralen zum funktionalen Jugendstil mit geometrisch klaren Linien" sagt der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Elmar Schmid. Der Bildhauer, der sich später vom Jugendstil ab- und dem Neoklassizismus zuwandte, war auch erfolgreicher Geschäftsmann: Regelmäßig fanden in Holzhausen Verkaufsausstellungen seiner Skulpturen statt. Mit den in Franken und Südtirol erworbenen Steinbrüchen stieg Gasteiger bis zu seinem Tod 1934 zum größten Marmorlieferanten Deutschlands auf, selbst in Australien stehen Hausfassaden aus seiner Produktion. Anna-Sophie überlebte ihn um 20 Jahre, das Künstlerpaar ist auf dem Holzhauser Friedhof begraben.

Die Gasteigers legten im Dorf den Grundstein für eine Kolonie der Künstlervereinigung "Die Scholle": Schon 1908 wurde Eduard Thöny ihr unmittelbarer Nachbar, unter anderem siedelten sich noch Adolf Münzer, Walter Georgi sowie Erich und Fritz Erler mit Ateliers in Holzhausen an. arm

Auf alle Gäste wartet selbst noch Ende August in den Rabatten und Blumenkästen am Haus eine Farbenpracht, die ihresgleichen sucht - darunter Bauernnelken, Astern, Kletter- und Stockrosen. Aber gelb gibt jetzt den Ton an: Neben Topinambur leuchten vor allem die Rudbeckien. Für Anna-Sophie Gasteiger waren sie "Schöng'sichtl", sie gehörten zu den Lieblingsmotiven der Malerin. Während ihr Mann die Birkengruppe am Haus pflanzte und die Landschaft im Auge hatte - Mathias entwarf den Park im Stil englischer Landschaftsgärten und schuf zwei Blickachsen vom Haus zu einer mächtigen Eiche und zum Kloster Andechs - war Anna-Sophie für den Blumenschmuck zuständig. Sie legte eine Allee mit englischen Hochstammrosen und Lavendel, verschiedene Rabatten und ein Staudenbeet unter den Birken an.

Schon zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere hatte sie in Dresden mit ihren Blumenstillleben beeindruckt. Je länger sie in Holzhausen lebte, um so mehr trat die Flora in den Mittelpunkt ihrer Malerei. Anna Sophie suchte mit sicherem Auge ihre Motive vor der Haustür, umgekehrt ist ihre Malerei heute Vorbild für die Gärtner der Schlösserverwaltung bei der Gestaltung des Parks. Anna Sophies umfangreiches Werk dient sozusagen als Katalog für Nachpflanzungen: Heuer etwa sind die Kokardenblume "Burgunder" und die gleich mehrfach von der Malerin porträtierte Montbretien-Sorte "Carmin Brillant" mit zarten, orangen Blüten dazugekommen. Historische Staudensorten und fast verschollene Blumenzwiebeln aufzuspüren, sei "fast schon ein Lebenswerk", meint Johann Hensel, der die Außenstelle Ammersee der Schlösserverwaltung leitet. Ihr bescheidener Etat umfasst heuer 17 700 Euro, davon muss die Außenstelle an der Uttinger "Alte Villa" und am Holzhauser Gasteigerhaus vor allem die Bausubstanz in Schuss halten. 2010 etwa war eine 15 000 Euro teure Reparatur des von Pilzen und Ameisen angegriffenen Balkons fällig.

Da wundert es nicht, am Teich im Park auf einen kopflosen Hirsch zu stoßen: Mathias Gasteiger hat ihn einst aus Beton gegossen, der obere Teil sei "einfach weg erodiert", sagt Hensel - lange bevor der Freistaat das Erbe antrat. Irgendwann hofft er, genügend Haushaltsmittel übrig zu haben, um dem Hirsch einen neuen Kopf zu spendieren - aber so ein filigranes Geweih nachzubilden, ist nicht billig. Ursprünglich stand die Tierstatue auf dem Vorplatz des Anwesens, wo jetzt ein aufwendig restaurierter Brunnen ist. Mathias war als "Brunnenfetischist" verrufen, heute finden sich insgesamt vier davon in seiner ehemaligen Sommerresidenz. Der größte ist ein achteckiger Springbrunnen voller Teichrosen und Goldfische, der direkt vor dem Hauseingang steht. Wasser ist überhaupt ein zentrales Element der Parkgestaltung: Gasteiger ließ den Kittenbach, der das Grundstück fast mittig durchfließt, zu zwei Weihern aufstauen, indem auch heute noch Forellen leben.

Außer dem Künstlerhaus stehen noch zwei Wohngebäude für die Kastellanin und den Gärtner sowie ein, gleichfalls im Nachlass mit Wohnrecht belegtes, idyllisches Holzhäuschen im Gelände. Hinter üppigem Blumenschmuck versteckt, bietet es einen märchenhaft-verwunschenen Anblick. Tatsächlich nennt es Schraidt das "Puppenhaus", weil vor allem die Tochter des Künstlerpaars die Sommer über darin gespielt hat. Außerdem musste auf Mathias Geheiß immer wieder die Küche einziehen: Der Hausherr habe deren Gerüche nicht ertragen, erzählt Schraidt. Nach dem Krieg diente die heute so romantisch wirkende Hütte als Flüchtlingsunterkunft. Weiter oben steht das "Baumeisterhaus", in dem Schraidt lebt und das in den 1920-Jahren als Ökonomiegebäude errichtet wurde. Zwischenzeitlich war der Park eher eine Art Bauernhof: In den nicht so üppigen Zeiten nach Mathias' Tod ging auch bei Anna-Sophie und Irene Gasteiger die Versorgung mit Lebensmitteln vor ,und auf dem Anwesen wurden Kühe gehalten: "Meine Schwiegermutter hat die Milch im Handwagerl ins Dorf gebracht und verkauft", weiß Schraidt noch. Auf die Kühe folgten Rehe, die den Park noch in den 1970er-Jahren bevölkerten: "Eines wurde dort einmal von einem Baum erschlagen, das hat meine Schwiegermutter noch erlebt." Irenes Sohn wiederum hielt in dem weitläufigen Areal Schildkröten - die freilich sicher nicht der Ernährung der Familie dienten.

Ein letzter Rest der einstigen Ökonomie findet sich hinter der rückwärtigen Küchentür, wo ein bäuerlicher Nutzgarten angelegt ist. Auch dieser Teil ist dem historischen Ensemble nachempfunden, Bohnen und anderes Gemüse kommen dem Gärtner zu Gute, der nicht vom knappen Etat der Schlösserverwaltung bezahlt werden muss. Arbeit gibt es genug für ihn auf dem großen Grundstück, das Helga Schraidt nicht Park nennen will: "Für einen Park ist es zu klein, für einen Garten zu groß." Und auch den ein wenig hochtrabenden Titel Kastellanin, vom lateinischen Wort castellum, Burg, hergeleitet, will die bescheidene Frau eigentlich nicht hören: "Für die meisten bin ich einfach die Frau Museum."

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