Theater:Zeitreise in die eigene Jugend

Ammerseer Bauerntheater spielt 86

Bekloppte Frisuren, Tigerhosen und Band-T-Shirts: Das waren die Achtzigerjahre. Robert Brack (r.) spielt einen, der in diese Zeit zurückversetzt wird.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Ammerseer Bauerntheater gibt seiner Hauptfigur eine zweite Chance. Doch der Ausflug in die Achtzigerjahre und die Rückkehr in die Gegenwart bringt ihr einige Enttäuschungen

Von Astrid Becker, Herrsching

Genau genommen dauert dieser Abend mindestens zwei Stunden länger als gedacht. Das liegt nicht daran, dass das Ammerseer Bauerntheater seine neueste Aufführung gnadenlos in die Länge ziehen würde. Nein. Begründet ist dies eher im Stück "86" selbst, mit dem die Laienschauspielgruppe unter der Regie von Monika Jäger und Robert Brack Mut zum Risiko beweist. Denn im Mittelpunkt steht eine Zeitreise ins Jahr 1986. In eine Zeit also, in der die Jugend ihre Identität in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung suchte. Was es da nicht alles gab! Punks, New-Waver, Popper, Yuppies, Rocker, die ihr Lebensgefühl durch ihren jeweiligen Musikgeschmack und ihr darauf abgestimmtes Äußeres zum Ausdruck brachten. Während der Popper beispielsweise "Duran Duran" hörte und sein Haar kurz mit langem Seitenpony trug, kannte der Rocker nur Metallica und Co. und lange Haare - zumindest am Hinterkopf. Einig waren sie sich alle damals vor allem in einem Punkt: Sie würden in ihrem Leben niemals so spießig werden wie ihre Eltern.

Auch Michael Neid, die Hauptfigur aus der Feder des Autorenquartetts Markus Ollinger, Tobias Egger, Johannes Brandhofer und Florian Appel, war sich 1986, im Alter von 25 Jahren, absolut sicher, einmal viel Geld zu verdienen und die ganze Welt zu bereisen. Doch 29 Jahre später, an seinem 54. Geburtstag, mit dem der erste Akt des Stücks beginnt, sitzt Neid (hervorragend gespielt von Robert Brack) als Postbeamter in seinem Häuschen im Grünen, lässt sich von seiner Frau Geli (Claudia Czasny) bedienen, hat mit ihr eine bereits verheiratete Tochter und ist gerade Großvater geworden. Er könnte eigentlich zufrieden sein, steckt jedoch mitten in der Midlife-Crisis. Der Besuch seiner drei Freunde, mit denen er einst, mit 25, in einer WG wohnte, steigert seinen Blues noch mehr.

Was, so fragt er sich, ist nur aus all seinen Plänen geworden? Er wünscht sich, die Zeit noch einmal zurückdrehen zu können, bricht zusammen und wacht an seinem 25. Geburtstag in seiner alten WG wieder auf. Doch sein Fest verläuft nicht so, wie er es in Erinnerung hat: Seine geliebte Geli kann er beispielsweise nicht erobern, dafür schafft er es, die strenge Vermieterin, Frau Würziger (Sandra Schwörer) in die Schranken zu weisen. Das Stück endet mit dem dritten Akt, in dem er wieder 54 Jahre alt wird und sich in einem anderen Leben wiederfindet als zuvor. Und hier stellen sich auch die Fragen, die später, nach dem Stück, zu Diskussionsstoff führen sollen: Was war nun eigentlich der Ausgangspunkt der Tragikomödie? Der erste 54. Geburtstag von Neid, oder sein 25., an dem er die Weichen für seine Zukunft stellt, die entweder in einem Leben als Postbeamter mit Familie oder als wohlhabender Single bestehen kann? Hat Neid wirklich eine zweite Chance bekommen, sein Leben noch einmal zu ordnen, also quasi zwei Mal die 29 Jahre von 25 bis 54 durchlebt oder alles nur geträumt, wie manche an diesem Abend auch meinen? Wie sehr kann Neids Schicksal Einfluss auf das seiner Mitmenschen nehmen? Ganz einig wird man sich hier nicht, denn in dieser Tragikomödie finden sich einige wohldosierte Brüche in der Handlungslogik. Wer also stringente Pointendrescherei und harmloses, volkstümelndes Bauerntheater erwartet, ist hier fehl am Platz. Schwierig zu verstehen dürften auch einige Anspielungen auf das Lebensgefühl dieser Zeit für diejenigen Zuschauer sein, die damals, 1986, pubertäre und spätpubertäre Phasen längst hinter sich gelassen haben.

Alle anderen aber dürften überrascht sein, was das Ammerseer Bauerntheater an den nächsten beiden Wochenenden (freitags und samstags, 20 Uhr, Andechser Hof) bietet: Situationskomik gepaart mit Tiefgang und der Ermahnung, das eigene Leben mit mehr Distanz zu betrachten, statt vergangenen Zeiten nachzutrauern. Allein darüber lässt sich trefflich diskutieren - und damit haben die Herrschinger etwas erreicht, was gewiss nicht allen Theatergruppen dieses Genres gelingt: Sie bleiben im Gedächtnis.

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