Schüler über Geschichte:Vom Trümmerfeld zur Menschlichkeit

Verfassungstag an der Realschule; 70 Jahre Bayerische Verfassung

Aktionstag an der Herrschinger Realschule anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Bayerischen Verfassung. Zu diesem Thema haben sich die Zehnklässler einiges einfallen lassen.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

70 Jahre Bayerische Verfassung: Die Zehntklässler der Realschule nähern sich dem trocken klingende Thema gemeinsam mit ihrem Geschichtslehrer auf ihre Weise. Und was dabei herauskommt, ist multimedial und ganz schön spannend

Von Patrizia Steipe, Herrsching

"70 Jahre Bayerische Verfassung", das klingt nach Paragrafenreiterei, nach viel Text und noch mehr Theorie. Dass die Bayerische Verfassung eine spannende und lebendige Angelegenheit sein kann, das bewiesen die Zehntklässler der Realschule Herrsching. In den Geschichts- und Sozialkundestunden hatten sie gemeinsam mit ihren Lehrkräften ein multimediales Programm für ihren "Tag der Bayerischen Verfassung" entwickelt.

Die 90 Seiten der Verfassung wolle er ihnen ersparen, erklärte Geschichtslehrer Daniel Otto den Eltern und politischen Ehrengästen. Auch die Schüler langweilten nicht mit Gesetzestexten. Sie hatten die Präambel der Verfassung als Grundlage ihrer Dialoge, Plakatwände, Lieder und Kurzvorträge genommen. Diese besteht zwar nur aus einem einzigen Satz, dieser hat es aber in sich: "Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung."

Vor allem das "Trümmerfeld" nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Schüler in ganzem Elend auferstehen: Auf der Leinwand erschienen Bilder von Särgen, zerbombten Städten, Kriegsgefangenen und elternlosen Kindern. Der Schulchor sang das Antikriegslied "Where have all the Flowers gone" und Jacob Mühleisen (9e) den Bob-Dylan-Song "The Times they are a changin'". "Weit über 50 Millionen Tote" habe der Zweite Weltkrieg gefordert, sagte Otto. Es folgte ein harter Kampf ums Überleben. "Mehlmus mit Rosinen" stand beispielsweise auf der Karte für die Schulspeisung, berichteten Johannes und Simon und dann zeigten sie Lebensmittelmarken und die "Gulaschkanone" aus dem Andechser Heimatmuseum. Die Wohnungsnot wurde in den Folgejahren durch Flüchtlinge aus den Ostgebieten noch verstärkt. Hier hatten sich die Zehntklässler die Stadt Geretsried als Beispiel genommen, die Vertriebene gegründet hatten. In dieser Stimmung im Lande kam der Auftrag der US-Besatzer an 180 Abgeordnete eine Bayerische Verfassung zu entwickeln. Das Regelwerk wurde von 70,6 Prozent der Bürger per Volksabstimmung verabschiedet. "Was haben die Bürger wohl damals von einer Verfassung erwartet?", lautete die Frage einer Arbeitsgruppe an die Mitschüler. Es waren sicherlich Werte wie Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, keine Diktatur und der Austausch mit anderen Ländern, mutmaßten die Zehntklässler.

Die Schüler erörterten aber auch die Frage, ob die Verfassung nach 70 Jahren noch zeitgemäß sei. In einer fiktiven Talkshow diskutierten die Teilnehmer, ob diese in Rente geschickt werden solle. Als sozusagen "lokales Grundgesetz Bayerns" und mit ihren Ausführungen, die über das Bundesgrundgesetz hinausgingen, sei das Regelwerk heute noch modern und unverzichtbar, lautete das Resümee, dem auch die Landtagsabgeordneten Kathrin Sonnenholzer und Ute Eiling-Huetig zustimmten. Diese hatte sogar ihre Mini-Taschenausgabe der Verfassung dabei: "Allein sie in der Hand zu halten, gibt Halt und Kraft".

Ob eine Verfassung, die heute konzipiert werden würde, ähnlich aussehen würde? Bei einer Umfrage unter Klassenkameraden nannten die Schüler Punkte wie "mehr politische Aufklärung", "Wahlrecht ab 16", "mehr Integration für Flüchtlinge" und "G 9 wieder einführen".

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