Herrsching:Vers-Epos einer Flucht

Karin Schreiber Asyl-Woche Herrsching

Sie hat es sich nicht leicht gemacht, über das Schicksal der Frauen zu schreiben: Karin Schreiber.

(Foto: Maren Martell/oh)

Zwei junge Frauen aus Eritrea inspirieren Karin Schreiber mit ihren Erlebnissen zu einem Buch, das sie bei der Aktionswoche für Asyl in Herrsching vorstellt

Von Patrizia Steipe, Herrsching

"Ich bin Selam, aus Eritrea, Asmara, 19 Jahre, ich spreche Tigrinja, Arabisch, ein bisschen Englisch, ein bisschen Deutsch, ich bin Muslima. Ich bin Lidia, aus Eritrea, 19 Jahre, aus Massaua, ich spreche Tigrinja, Arabisch, ein bisschen Deutsch, ich bin Christin; Selam ist meine Freundin. Wir fliehen, um frei zu sein". Es sind knappe Worte, mit denen Karin Schreiber ihr Versepos beginnt. Zwei junge Frauen aus Eritrea haben die ehemalige Deutschlehrerin in Dießen zu den "Wegmarken einer Flucht" inspiriert. Die Deutschlehrerin für Flüchtlinge hatte die beiden Frauen kennengelernt und besonders ins Herz geschlossen. Im Rahmen der Aktionswoche für Asyl in Herrsching, die eine Vielzahl von Vereinen organisiert hatte, trug die Herrschinger Dichterin ihr Werk im evangelischen Gemeindesaal vor.

In sieben Stationen hat sie die Flucht der beiden quer durch die Wüste, über das Meer bis nach Deutschland geschildert. Schreiber hat sich die Sache nicht leicht gemacht. Lange hat sie überlegt, ob sie sich überhaupt anmaßen dürfe, über das Schicksal der beiden zu dichten. "Darf ich überhaupt schreiben? Ich will mich schließlich nicht an das Leid anderer dranhängen", seien die Gedanken der 74-Jährigen gewesen. Dann sei ihr die Erkenntnis gekommen, dass "Flucht" ein Menschheitsthema sei. "Wir alle tragen die Erfahrung in uns", so Schreiber.

Bruchstückhaft hätten die beiden Frauen im Laufe der Monate über ihre Erfahrungen auf der Flucht berichtet. Diese hat die Dichterin mit bildreichen und opulenten Worten ergänzt. Dem Horror des Faktischen Tagträumereien und Metaphern gegenüber gestellt. "Ocean without water" heißt der dritte Vers, der die Flucht durch die Sahara auf einem Lastwagen beschreibt: "Wir schaukeln im Dämmerschlaf halb stehend, halb sitzend, dahin, träumen uns in die Arme der Mutter. Im neuen Morgen, helle weiche Dünen ziehen wie fliegende Vögel an uns vorbei, angstvolle Schönheit am Wegrand, gesäumt von Tier- und Menschenskeletten, gefallen vor Durst und Erschöpfung".

Zwischen den Texten griff Klaus Weighart das Thema musikalisch auf. Zu jeder der sieben Stationen hatte er passende "arabische Variationen" für das Klavier kombiniert. Um das Orientalische zu charakterisieren, hat der ehemalige Musiklehrer in Schondorf eine Tonleiter mit eineinhalb Tonschritten verwendet: d, es, fis, g, a, ais, cis, d. Die düster-geheimnisvollen Klänge mit den vielen musikalischen Verzierungen, Arpeggien und Triller erinnerten ein wenig an die Filmmusik zu Lawrence of Arabia und an Duke Ellingtons "Caravan" (1952). Es sind sozusagen westlich adaptierte Melodien, die orientalisch klingen sollen. "Pseudo" nennte es Weighart - für das westliche Publikum klingt es jedoch "typisch". Am Schluss beginnen die Variationen "arabisch" und gehen allmählich in den Hit "The Lion sleeps tonight" über: Ankunft in der westlichen Welt. Die schwunghaften Musikstücke bildeten einen passenden Rahmen zu den zarten, poetischen Beschreibungen eines grausamen Inhalts.

Die Flucht geht gut aus, zumindest wenn man "Überleben" als Ziel ansieht. Die beiden Frauen sind jetzt in Sicherheit und Freiheit. Es sind nur zwei von weltweit rund 65 Millionen Menschen, die vor Krieg, Not und Verfolgung flüchten wie Pfarrerin Angela Smart am Anfang des Abends erklärte. "Jeder Mensch hat Recht auf unantastbare Menschenwürde", betonte sie. Die derzeitige Situation sei dabei für die westliche Welt eine Bewährungsprobe für solche Werte. Schreibers "Wegmarken einer Flucht" sind in der österreichischen Lyrikzeitschrift unter dem Titel "Spiritualität als Widerstand" erschienen. Im Herbst erscheint das Versepos sowie eine Sammlung Gedichte und Kurzgeschichten zum Thema "Flucht und Ausgrenzung von Menschen" in Buchform.

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