Gräfelfing:Es reicht

In Gräfelfing formiert sich Widerstand gegen die Verkehrsbelastung. Vor allem Anwohner der Pasinger Straße und der Lindauer Autobahn leiden unter dem Lärm

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Eigentlich ist Gräfelfing eine ruhige, grüne Gartenstadt - jedoch nicht überall. Die Familie Saller beispielsweise wohnt und arbeitet an der Pasinger Straße und erlebt tagtäglich das Gegenteil: Rückwärts mit dem Auto aus der Einfahrt rangieren, das ist wegen des dichten Verkehrs kaum möglich. Die Gegensprechanlage am Gartentor ist nicht zu nutzen, da wegen des Verkehrslärms sowieso niemand ein Wort versteht. Auf den Rollladenkästen macht sich eine schwarzgraue Dreckschicht breit, und die Wäsche trocknet Ingrid Saller nie im Vorgarten. Claudia Ascherl wohnt etwas weiter die Straße hinunter - dort, wo die Pasinger Straße dann Planegger Straße heißt. Jedes Gespräch draußen wird ständig vom vorbeirauschenden Verkehr unterbrochen, lose Kanaldeckel klappern, wenn Autos darüberfahren. Wenn Claudia Ascherl zum Supermarkt nach Lochham fährt, braucht sie je nach Tageszeit für die zwei Kilometer zwanzig Minuten - wegen Stau. Und auch über anderen Orten liegt der Lärmteppich - die Autobahn A 96 nach Lindau nervt mit "permanentem Rauschen", beklagt Reinhard Fritz in Vertretung der Anwohner.

Stau, Abgase, Lärm schmälern die Lebensqualität vieler Gräfelfinger erheblich. "Es gibt kein Engagement für uns", stellt Claudia Ascherl fest, "wir haben keine Lobby." Seit die große Umgehungsstraße per Bürgerentscheid 2013 abgelehnt wurde, fühlen sich die Anwohner der Pasinger Straße und in den Nebenstraßen, die den Schleichverkehr anziehen, allein gelassen. Deshalb haben sie sich vor Kurzem zusammengeschlossen und eine Bürgerinitiative gegründet, zehn Familien sind bislang dabei. Seit Dezember gehen sie von Haus zu Haus und sammeln Unterschriften. Unter dem Motto "Gartenstadt für alle" fordern sie Tempo 30 nachts, geräuscharmen Asphalt, die Beseitigung klappernder Kanaldeckel, Lärmschutzwände und eine Umgehungsstraße. Auch Anlieger nahe der Autobahn sind aktiv geworden und haben 250 Unterschriften gesammelt, um zu zeigen, dass es viele sind, die dagegen aufbegehren.

Elfriede Stanglmair wird immer gefragt, warum sie hierher in die Planegger Straße, mitten in den Verkehr, gezogen ist. Sie antwortet dann, dass sie seit ihrer Geburt dort wohnt: "Damals gab es nicht so viel Verkehr." Und die Blechlawine ist tatsächlich angewachsen, zum Teil hausgemacht. Gräfelfing und Planegg bauen kontinuierlich ihre Gewerbegebiete aus, der Verkehr wird jedoch weiter über das vorhandene Straßennetz abgewickelt. Dass das so nicht mehr lange gut geht, hat Verkehrsplaner Helmuth Ammerl bereits im Januar 2015 den Gräfelfinger Gemeinderäten vorhergesagt - die Pasinger Straße steht vor dem Verkehrsinfarkt, wenn das Gewerbegebiet wie geplant ausgebaut wird. "Wir brauchen das Gewerbe, aber ein Teil der Gewerbesteuer sollte in den Lärmschutz investiert werden", fordert Claudia Ascherl. Wenn Bürgermeisterin Uta Wüst (IGG) anmerkt, dass andere Würmtalgemeinden nicht derart über den Verkehrsdruck klagten, klingt das, als seien die Gräfelfinger besonders sensibel. Doch Gräfelfing hat etwas, was andere nicht haben - eine Anschlussstelle an die Autobahn. "Das wirkt wie ein Magnet", sagt Ammerl, denn von dort aus werden auch der stetig wachsende Unicampus und der Biotechstandort Martinsried angesteuert.

Im Gräfelfinger Rathaus kam das Thema Verkehrsbelastung bislang nur schleppend voran. Viele kleine kosmetische Eingriffe wurden diskutiert, die große Lösung war bislang nicht dabei, im Gegenteil: Lärmschutzmaßnahmen an der Lindauer Autobahn (A 96) sind für die Gemeinde allein nicht finanzierbar, und die Autobahndirektion beteiligt sich erst an den Kosten, wenn die Autobahn um eine Fahrspur erweitert wird, was aber "in den nächsten Jahrzehnten nicht zu erwarten" sei, tilgt Josef Seebacher, Pressesprecher der Autobahndirektion, jegliche Hoffnung. Ähnlich trüb sind die Aussichten, Tempo 30 nachts auf der Pasinger Straße durchzusetzen - das Landratsamt macht nicht mit. Auch Lärmschutzwände wird niemand bezahlen, und Radwege entlang der Pasinger Straße wurden abgelehnt, weil sie zu gefährlich sind. Die Kommune kann nur bedingt eingreifen, betont Bürgermeisterin Wüst immer wieder: Die Pasinger Straße ist eine Staatsstraße, womit Landratsamt und Staatliches Bauamt Freising das Sagen haben, die Autobahn A 96 verwaltet die Autobahndirektion Südbayern.

Ist man im Rathaus damit am Ende des Lateins? Sicher ist: Seit die Bürger ihren Unmut lautstark auf der Bürgerversammlung kundgetan und sich zusammengeschlossen haben, ist das Thema im Rathaus nach oben auf die Agenda gerutscht. Noch für den Jahresanfang ist der von den Anwohnern gewünschte runde Tische in Vorbereitung, und kurz vor Jahreswechsel konnte die Bürgermeisterin noch verkünden, dass es nun doch möglich und finanzierbar erscheint, mehrere Tempo-Messanlagen entlang der Autobahn zu positionieren. Sie sollen dazu beitragen, den Lärm etwas zu mindern.

Einen Joker gibt es noch in Sachen Verkehr, aber bisher hat sich keiner so recht drangewagt: die Entlastungsstraße, auch "Umgehung light" genannt. Für einige ist der schon vor zwei Jahren geäußerte Vorschlag die einzig wirksame Lösung: eine Umgehungsstraße, die von der Autobahn entlang des Gewerbegebiets bis zum Neurieder Weg führt. Die Idee hatte Landrat Christoph Göbel (CSU), einst Verfechter der großen Umgehung. Und auch Uta Wüst ist inzwischen auf Kurs: "Ich würde es wagen, ein kleiner Eingriff mit großer Wirkung."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: