Gräfelfing:Die Fragen der Enkel

Gräfelfing: Hildegard Kronawitter (vorn) präsentiert die Arbeiten zusammen mit Felix Staller, Luise Möhring und Lehrer Gregor Pelger (von links).

Hildegard Kronawitter (vorn) präsentiert die Arbeiten zusammen mit Felix Staller, Luise Möhring und Lehrer Gregor Pelger (von links).

(Foto: Catherina Hess)

Kinder, die im Dritten Reich aufgewachsen sind, stießen bei ihren Eltern auf eine Mauer des Schweigens und begehrten auf

Von Martin A. Klaus, Gräfelfing

Die Erinnerungskultur erreicht eine neue Großeltern-Generation. Das Gräfelfinger Kurt-Huber-Gymnasium (KHG) vergibt und veröffentlicht in Zusammenarbeit mit der Weiße-Rose-Stiftung seit Jahren Schülerarbeiten zur Zeitgeschichte. Drei Bände befassten sich mit Erleben und Erleiden des Dritten Reiches nicht zuletzt junger Menschen, aber auch der Verfolgten. Nun wandte sich das vierte Seminar zur Zeitgeschichte jenen Kindern zu, die den Krieg zwar noch erlitten haben, deren Aufwachsen jedoch bereits in die Nachkriegszeit fiel. Sie stehen heute vor den Fragen der Enkel, wie sie diese Zeit des Wiederaufbaues erlebten. Drei der Seminararbeiten sind im vierten Band abgedruckt, zusammen mit einem Aufsatz von Gregor Pelger, der das Seminar leitete und der über den Umgang der DDR mit der Weißen Rose referiert, die dort zuerst als Vorbilder propagiert wurden, aber prompt schnell wieder verschwiegen wurden, als dort junge Leute deren Mut zum Widerstand nacheiferten.

Die Generation der Kriegskinder startete nach der Befreiung begleitet von großartigen Versprechungen ins Heranwachsen. Entsprechend groß war die Enttäuschung, als von den Gelöbnissen der Erwachsenen nicht mehr blieb als hartnäckiges Schweigen und Verweigern aller Lockerungen.

Valentina Amberger arbeitete in einem Interview mit dem Filmregisseur Joseph Vilsmaier, selbst Jahrgang 1939, sehr anschaulich heraus, wie der amerikanische Filmstar James Dean zum Idol dieser Jugend wurde, der in dem Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun" mit ungemein intensiver Körpersprache Auf- und Ablehnung gegen die Elterngeneration ausdrückte und die Jugend zum eigenen Protest anspornte. Vilsmaier unterstrich die Zwangsläufigkeit dieses Widerstands, "denn die Jugend der Fünfzigerjahre rebellierte, weil man ihr außer materiellem Aufschwung keine Werte geliefert hat, keine Perspektiven". Hinzu kam das beharrliche Schweigen der Elterngeneration. Sie verweigerte der neuen Generation meist die Auskunft zu ihrem Verhalten im Dritten Reich, fiel somit als Orientierungspunkt aus. "Diese Verschlossenheit", resümiert Valentina Amberger, "führte bei der jungen Generation zu einer grundlegenden Unzufriedenheit und Unsicherheit".

James Deans provozierendes Auftreten, sein früher Tod, seine rote Windjacke, vor allem aber auch seine Jeans verlockten zur Nachahmung. Jeans gewannen immer mehr Anhänger, zugleich, erinnerte Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße- Rose-Stiftung, in ihrem Grußwort bei der Vorstellung des vierten Bandes, blieben sie an den Schulen noch viele Jahre verboten. Wegen solcher Beschränkungen konnte der geringste Anlass zum Sprengstoff werden. Der eigentlich ungemein friedliche Fronleichnamstag 1962 in München mündete aus nichtigem Grund in einen heillos überzogenen Polizeieinsatz und mehrtägige heftige Auseinandersetzungen mit aufgebrachten Jugendlichen.

Luise Möhring vergleicht in ihrer Seminararbeit die Berichterstattung der großen Münchner Zeitungen, und sieht den Münchner Merkur mehr auf der Seite der Polizei, die Süddeutsche Zeitung mehr auf der Seite der Jugendlichen. Und gerade angesichts der propagierten Vorbildfunktion der Weißen Rose für die Jugend sieht sie in deren Aufbegehren gegen den Polizeieinsatz in Schwabing eher Protest als Krawall.

Abgerundet werden die Seminararbeiten von Felix Stallers Untersuchung der Proteste der Schüler am KHG im Jahre 1968. Sein Stöbern im Archiv förderte Dokumente, Flugblätter, Verhöre und Listen der streikenden Schüler zutage. Am Ende des Jahres 1968 standen mehr Rechte für die Schülermitverwaltung und die Duldung von Jeans im Unterricht. Die Proteste, resümiert Seminarleiter Gregor Pelger, hatten sich gelohnt.

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