Gilching:Wieder eine Hürde genommen

Gilching Gymnasium, 2.Aktionstag für Menschen mit und ohne Behinderung

Erik Berthold und die Starnberger Francisband zeigen, dass auch Musik behinderte und nichtbehinderte Menschen zusammenführt. Die Gruppe trat beim Aktionstag im Gilchinger Gymnasium auf.

(Foto: Georgine Treybal)

Ein Jahr lange haben Menschen mit und ohne Behinderung an einem Aktionsplan gearbeitet. Am Aktionstag in Gilching wird deutlich: "Es läuft gut, aber noch nicht gut genug", wie Landrat Karl Roth sagt

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Gilching

Ein fehlender Aufzug, eine unüberwindliche Treppe vor dem Rathauseingang, fehlende Indiktionsschleifen auf Veranstaltungen. Auch wenn im Landkreis seit mehr als 30 Jahren darüber diskutiert wird, wie Menschen mit Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden kann, gibt es noch viel zu tun. Oft sind es ganz banale Dinge, die für Menschen mit Handicap eine unüberwindliche Hürde darstellen, wie etwa eine fehlende Behindertentoilette. Im Alltag wird die Teilhabe oft eingeschränkt, weil es am notwendigen Wissen fehlt. Dies zeigte auch der zweite Aktionstag für Menschen mit und ohne Behinderung am Samstag im Christoph-Probst-Gymnasium in Gilching. So mancher Redner stellte sich versehentlich vor den Monitor, auf dem Menschen mit Hörbehinderung mitlesen konnten, oder es wurde zu schnell geredet.

Ein Jahr lang trafen sich Menschen mit und ohne Behinderung regelmäßig, um einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu erarbeiten. Nach Angaben des beauftragten Projektbegleiters Michael John hatten 160 Personen daran mitgewirkt, 35 davon aktiv. In dem 250-Seiten starken Papier wurden nicht nur Daten erfasst und eine Bestandsaufnahme gemacht. Sechs Arbeitsgruppen hatten darüber hinaus in 18 Sitzungen konkrete Handlungsvorschläge erarbeitet. Es wurden Interviews geführt, Workshops veranstaltet sowie Fragebögen an Betroffene und Kommunen verschickt. Die Problematik ist vielfältig, weil die Lebensbedingungen der mehr als 9000 betroffenen Menschen im Landkreis höchst unterschiedlich sind. Eine Bürgersteigabsenkung etwa ist positiv für einen Rollstuhlfahrer, ein Sehbehinderter indes weiß dadurch nicht mehr, wo die Straße beginnt. Ob Mobilitäts- oder Sinnbehinderung, psychische Erkrankungen oder kognitive Einschränkungen: Der Aktionsplan beleuchtet die unterschiedlichsten Bedürfnisse.

Laut der Bestandsaufnahme ist eine Behinderung in den seltensten Fällen angeboren. Die meisten Handicaps treten bei den über 65-Jährigen auf. Dies sollte in der Seniorenpolitik berücksichtigt werden, so John. Überraschend war, dass 67,2 Prozent der Menschen mit Behinderung im ersten Arbeitsmarkt tätig sind, der Rest arbeitet in Behindertenwerkstätten. Die meisten sind zufrieden mit ihrer Arbeit. In der Teilhabe eingeschränkt indes fühlen sich viele Betroffene im öffentlichen Nahverkehr oder beim Ausfüllen von Formularen. Zudem wurden fehlende Aufzüge, öffentliche Toiletten oder Hörhilfen im öffentlichen Raum angemahnt.

Trotz des von allen Teilnehmern des Aktionstags hochgelobten Resultats ist das Papier noch nicht fertig, es soll weiter vervollständigt werden. Spätestens im Herbst soll der Kreistag darüber abstimmen, damit dem Landkreis und den Kommunen am Ende ein Instrument zur Umsetzung in die Hand gegeben werden kann. "Es läuft gut, aber noch nicht gut genug", resümierte Landrat Karl Roth. Damit der Aktionsplan nicht in einer Schublade lande, brauche es weiterhin Denkanstöße und Kreativität. Er könne sich vorstellen, eine hauptamtliche Stelle im Landratsamt zu schaffen, die alles koordiniert.

Nach Angaben von Sozialamtsleiter Friedrich Büttner gibt es insbesondere im öffentlichen Wohnungsbau noch großen Nachholbedarf sowie bei den Behörden. Es könnten beispielsweise die Web-Seiten in einfacher Sprache verfasst werden. Ein hoher finanzieller Aufwand ist nach seinen Erfahrungen erforderlich für Induktionsschleifen oder Gebärdendolmetscher, damit Menschen mit Hörbehinderung an Gemeinderatssitzungen teilnehmen können. Im Bildungsbereich sieht Büttner ebenfalls noch Handlungsbedarf. Im Landkreis gebe es derzeit nur zwei Schulen mit einem echten Inklusionsprofil, sagte er. Das könne der Landkreis aber nicht beeinflussen, denn die Mittel des Kultusministeriums seien gering.

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