Gilching:Weitgespannte Dialoge

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Neue Musik mit und von Waterhouse und Romanov

Von Reinhard Palmer, Gilching

Die Leute, die dieses Konzert versäumten, hatten gewiss einige einleuchtende Gründe. Aber machen wir uns nichts vor: Der gewichtigste war wohl, dass hier einerseits keine Standardliteratur gespielt wurde, andererseits, dass Neue Musik auf dem Programm stand. Letztere ist immer noch mit vielen Vorurteilen und falschen Vorstellungen behaftet. Heute neigen selbst Musiker dazu, der Abwendung von den meisten zeitgenössischen Komponisten der Nachkriegszeit bis in die 1970/80er Jahre mit Verständnis zu begegnen. Damals entstanden viele Werke, die heute als gezielte Abschreckung des Publikums verstanden werden. Aber wie holt man das Publikum wieder in die Konzertsäle zurück? Das war in der Aula des Christoph-Probst-Gymnasiums Gilching die zentrale Frage der gerade mal knapp fünfzehn Besucher.

Sicher ist: An der Qualität der Darbietung lag es gewiss nicht. Sowohl der aus London stammende Cellist Graham Waterhouse, der als Wahl-Weßlinger ein Heimspiel gab, als auch der aus Moskau stammende Pianist Dmitrij Romanov haben herausragende Ausbildungen genossen und sind längst im Konzertbetrieb etabliert. Beide sind zudem international anerkannte Komponisten, mit Preisen und hochdotierten Kompositionsaufträgen bedacht. Und wie oft hat man denn die Gelegenheit, einem solchen musikalischen Ereignis beiwohnen zu können, einem Konzert, in dem die Komponisten unter anderem eigene Werke interpretieren? Mehr noch: "Vier Stücke für Cello und Klavier" von Romanov erlebten hier ihre Uraufführung.

Brahms habe mal vor nur zwei Zuhörern konzertieren müssen, zeigte sich Waterhouse von der Situation unberührt. Mit seinen 53 Jahren griff er leicht schmunzelnd sein frühes Cellokonzert op. 26 (1995 revidiert) auf, um in zwei Sätzen daraus vielleicht Dinge zu entdecken, die er einst in seiner Sturm- und Drang-Zeit gar nicht wahrgenommen hatte. Während Romanov am Flügel klanglich die Orchesterinstrumente mitführte, offenbarte Waterhouse einerseits die Neigung zur Dramatik in großen Gesten seiner Jugendzeit, andererseits aber auch die tief beseelte Musizierweise eines reifen Instrumentalisten, der den Rückblick leidenschaftlich und temperamentvoll in die Gegenwart hievte.

Sein Werk stand eher im Kontrast zu den Cellostücken Romanovs, der vor allem das Groteske einbrachte, wie es Schostakowitsch aus der jüdischen Folklore in die E-Musik geholt hatte. Mal abgesehen von "Con Moto", dem zweiten Satz, in dem eine Barcarole in mysteriöser Atmosphäre ausgesungen wurde, zeigte sich das Werk ruhelos und in der Textur kapriziös, im "Andante" indes düster und ohne jeglichen Anflug von Heiterkeit lebendig rhythmisiert. Dadurch ergab sich eine Seelenverwandtschaft zu Peter Kiesewetter, dessen "Excentriques", fünf Bagatellen von 2002, Wilfried Hillers Ausspruch beipflichteten, der ihm freundschaftlich verbundene Komponist sei "ein liebenswürdiger, todtrauriger Clown" gewesen. Die humorvoll eingeflochtenen Anleihen aus populären Werken werden darin von der spannungsgeladenen Atmosphäre geradezu zermalmt. Kiesewetter war fast schon in Vergessenheit geraten und an Parkinson erkrankt. Erst die Todesnachricht 2012 erinnerte wieder an den einst renommierten Münchner Komponisten.

Dass den Rahmen des Programms die "Meditation" von Frank Bridge aus dem Jahr 1912 sowie die Sonata in C op. 65 seines Schülers Benjamin Britten aus dem Jahr 1861 absteckte, war letztendlich dem Titel "Dialoge" geschuldet. Und diese Dialoge hatten die beiden Instrumentalisten weit gespannt. Lang anhaltender Applaus und eine Wiederholungszugabe von Britten.

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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