Gilchinger Kultur:Live aus London

Opernfans gehen ins Kino; Live-Übertragung aus London

Zum Operngenuss ins Kino gehen, kann durchaus reizvoll sein.

(Foto: Fuchs)

Opernabend in der Gilchinger Filmstation

Von Berthold Schindler, Gilching

Zwischen dem Royal Opera House an der Bow Street in London und dem Römerweg, wo sich die Filmstation Gilching befindet, liegen laut Google Maps 1133 Kilometer. Und doch liegt im "Gleis 2", so heißt der Kinosaal, ein großer Opernabend in der Luft: Die in deutschen Theatern eher selten programmierte Oper Boris Godunov von Modest Mussorgsky flimmert über die Leinwand, international live übertragen aus dem Londoner Opernhaus. Das Publikum im Saal lässt sich zumindest optisch vom gemeinen Kinogänger nicht unterscheiden; legere Abendgarderobe ist angesagt. Allenfalls das Durchschnittsalter ist etwas höher, als es vielleicht bei "Fack ju Göhte" oder dem neuen James Bond. Was aber auffällt: Die Leute fachsimpeln vor der Vorstellung im Foyer genauso munter drauf los wie Theaterbesucher in der Bayerischen Staatsoper. Man redet über Joyce DiDonato ("gefällt mir ganz hervorragend") und Rolando Villazón ("So ein schöner Mann") sowie Aufführungen in New York: "Mei, die Met macht immer noch die selben Inszenierungen wie vor hundert Jahren, da ist nix modernisiert worden", kritisiert eine Frau, während ihre Freundin dagegenhält: "Unser Regietheater ist aber auch nicht immer das Gelbe vom Ei".

Die erste Dame dürfte in puncto Inszenierung nicht besonders erbaut gewesen sein über Boris Godunov, denn Regisseur Richard Jones wählte eine traditionelle, dem renaissance-zaristischen Russland nachempfundene Gestaltung von Bühnenbild und Kostümierung. Bevor der Vorhang aufgeht, gibt es aber erst mal Vorgeplänkel. Statt Blockbuster-Trailer ein Interview der Moderatorin des Abends mit der aus Günzburg stammenden Bayerischen Kammersängerin Diana Damrau, die aus dem Nähkästchen plaudert. Als die Moderatorin den Plot des Librettos nacherzählt - es geht um das Leben des Ursurpators Godunov aus dem gleichnamigen Roman von Boris Puschkin, der von 1598 bis 1605 Zar und Großfürst des Russischen Reichs war - ergänzt sie mit britischem Humor: "Die Ränkespiele dort stellen sogar den US-Präsidentschaftswahlkampf in den Schatten".

Die Ouvertüre ist vorbei, der erste Dialog wird gesungen und dann die unangenehme Überraschung: die Oper ist nicht untertitelt. Zumindest nicht auf der Leinwand, im Theater selbst wahrscheinlich schon, aber das hilft dem Gilchinger auch nicht. So ist es recht anstrengend, der Handlung zu folgen. Eine Zuhörerin verlässt dann auch nach etwa einer Stunde die Vorstellung mit der Bemerkung: "Ohne Untertitel, das geht gar nicht".

Ein etwas hartes Urteil, gibt es doch auch Vorteile gegenüber dem Theaterbesuch, die vor allem im Bild liegen, denn gerade die Zooms sind spannend. Wo man selbst in den vorderen Reihen ohne Opernglas nicht jedes Kostümdetail ausmachen kann, bekommt man das Minenspiel der Akteure dank Großaufnahmen hautnah mit; eine Kamera zeigt die Musiker im Orchestergraben beim engagierten Fideln, Pusten und Schlagen. Nicht zuletzt geben die Kamerabilder unfreiwillige einige Theaterkniffe preis: Dass eine Sängerin gar nicht so dick ist wie ihre Rollenfigur, sondern aufgepolstert, sieht man deutlich, wenn sie in Lebensgröße gezeigt wird. Und dass der Mönch Pimen so flüssig kyrillische Lettern auf eine Schreibtafel schreiben kann, erklärt sich dadurch, dass diese bereits mit Bleistift vorgezeichnet waren. Angenehmer Nebeneffekt ist auch, dass unter permanenter Beobachtung mehrerer Kameras und mit einem aus aller Herren Länder zuschauenden Publikum die Opernsänger auch schauspielerisch zu Höchstform auflaufen.

Vom Musikalischen her ist es ein großartiger Opernabend, bis in die Nebenrolle sind die Partien erstklassig besetzt - mit dem walisischen Starbass Bryn Terfel an der Spitze -, und alle sind glänzend aufgelegt. Was den Sound aus den Lautsprechern betrifft: Da klingt ein Piano auch gerne mal dumpf, und gerade die Oboen kommen merkwürdig schepprig durch, aber insgesamt klingt es ganz okay; gerade bei Schlagwerk und Posaunen muss man kaum Abstriche machen. Alles in allem ist so ein Besuch im Kino für den Opernfreund durchaus empfehlenswert, für 25 Euro bekommt man hervorragende künstlerische Qualität.

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