Gilching:Glühend und lichterloh

Die Gruppe "Emoción" zeigt im Tango die Lage der Welt

Von Reinhard Palmer, Gilching

Emoción - der Name ist Programm. Zudem steht er für eines der wohl ungewöhnlichsten Ensembles. Sein Kopf, Arrangeur, Trompeter, Pianist und Regal-Spieler - nah am Bandoneon - Joris stammt aus Belgien, die Geigerin Soledad hat ihre Wurzeln in Peru, der Cellist Kiko ist Deutsch-Venezolaner, der Perkussionist Ferdi ist Deutscher. Doch begegnet sind sich die Musiker als Mitglieder des Qatar Philharmonic Orchestra - und gründeten dort das Quartett, das sich dem argentinischen Tango widmet. Der Besonderheiten nicht genug, nahmen die vier Musiker Sängerin Sevine mit, die im Libanon beheimatet ist und es versteht, authentisch in Spanisch, Englisch, Französisch und Arabisch zu singen. Wohl kaum eine andere Formation spiegelt die politische Weltlage so umfassend wider, wie es Emoción in der Aula des Gilchinger Gymnasiums tat.

Sevines musste mit gebrochenen Bein jedes Mal zu ihrem Einsatz auf die Bühne getragen werden. Dieser besondere Charme passte irgendwie zur Einzigartigkeit des Auftritts, der Beinbruch indes zur Weltlage. Das Ensemble Emoción ist also in keinster Weise ein Orquesta típica, wenn auch von der Besetzung her durchaus nah dran. Aber schließlich geht es der Formation nicht um typischen und üblichen Tango. Ja nicht einmal einfach nur ums Musikmachen. Es geht um ein multimediales Erlebnis mit maßgeschneiderten künstlerischen Videoprojektionen, gelegentlich aufgelockert durch ein Gedicht.

Meist ging es in den Bildprojektionen um sich wandelnde abstrakte Gebilde, die mit farblich wechselnder Beleuchtung ein Gesamtbild ergaben. Animierte sphärische Netzgebilde, Wolken aus Lichtpunkten oder plastisch modellierte dreidimensionale Gebilde im unendlichen Raum gaben der Bühne Tiefe und der Musik eine dingliche Vorstellung. Das wie eine Blütenknospe anmutende knallrote Kleid Soledads blieb darin ein schillernder Farbakzent, der gut in der leidenschaftlichen Musik aufging. Bisweilen tauchten reelle Bilder auf, auch Schwarz-Weiß-Ausschnitte aus Stummfilm-Krimis, oder schon mal in Gold getauchte Wüstenlandschaften mit weiblichen Augen als Fata Morgana am Himmel oder ein sich im Wasser spiegelnder, glühender Planet, der zu Verdichtungen der Musik immer wieder lichterloh zu explodieren schien.

Der multikulturelle Mix korrespondierte durchaus mit dem Tango, der schließlich einst unter den Einwanderern am Rande von Buenos Aires aus Elementen vor allem europäischer und afrikanischer Musik hervorgegangen war. Das temperamentvolle "La Cumparsita" von Gerardo Matos Rodríguez zu Beginn sowie der "Libertango" von Astor Piazzolla zum Abschluss durften hier nicht fehlen, brachten auch die wohl erwartete Atmosphäre.

Aber schon da gab es bisweilen klangexperimentelle Ausfallschritte, die dem Tango noch mehr Feuer verliehen. Leidenschaft und Emotion können sich jedoch auch leise und zurückgenommen manifestieren. "Au jardin de balata" etwa gab sich karibisch leicht, dann perkussionistisch grundiert arabisch verzaubert mit schlangenbeschwörender Trompete, um sich schließlich im Tango-Temperament zum wilden Taumel zu steigern. Diese sinnenfreudige Entwicklung riss schon ordentlich mit und machte die Musik zu einem besonders intensiven Erlebnis. Filmmusik, ein mit Bildern dialogisierendes Medium, passte gut dazu, etwa mit Stings "Roxanne" aus "Moulin Rouge". Selbst Piazzollas barockes "Fuga y misterio" ging schlüssig im Konzept auf, erst recht sein rhapsodisch erzähltes "Balada para un loco" (Ballade für einen Verrückten). Frenetische Ovationen und eine Zugabe.

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