Gericht:Der unbekannte Angeklagte

Asylbewerber erhält Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung in Gautinger Unterkunft

Von Armin Greune, Starnberg

Wenn ein Körperverletzungsdelikt vor Gericht verhandelt wird, ist der Tatnachweis oft schwierig, weil die Aussagen von Zeugen und Angeklagten weit auseinanderdriften. Aber immerhin kann man davon ausgehen, dass die Personalien der Beteiligten feststehen. Im Fall, der vor dem Starnberger Jugendrichter Ralf Jehle verhandelt wurde, war es genau umgekehrt. Name, Alter, Nationalität: Alle Daten des Angeklagten bis auf den Wohnsitz in einem Asylbewerberheim bei Karlsruhe waren zunächst unklar - dafür gelang es am zweiten Verhandlungstag, mit Teilgeständnissen und Zeugenangaben die drei Tatgeschehen weitgehend aufzuklären.

Demnach hatte der Beschuldigte im Herbst 2015 in einer Asylbewerberunterkunft in Garmisch eine Servicekraft bei der Essensausgabe beleidigt und gedroht, sie zu ermorden. Gut eine Woche später ohrfeigte er dort ein kleines Mädchen so heftig, dass es eine fotografisch dokumentierte Schwellung davontrug. Und im Januar 2016 kam es in der Gautinger Unterkunft zu einer gefährlichen Auseinandersetzung mit zwei Mitbewohnern: Dabei hob der Angeklagte zweimal ein Taschenmesser, um zuzustechen. Die Attacken konnten aber so abgewehrt werden, dass der Angeklagte und ein Beteiligter lediglich leichte Schnittwunden an der Hand davontrugen. Am Ende sah Jehle sämtliche Tatvorwürfe als erwiesen an und verhängte eine neunmonatige Haftstrafe, die er für drei Jahre zur Bewährung aussetzte. Der Angeklagte nahm das Urteil an und erklärte. "Ich werde sehr vorsichtig sein die nächsten drei Jahre."

Bis dahin war es ein langer Weg: Zunächst war der Angeklagte zum ersten Prozesstermin nicht erschienen, er musste per Haftbefehl gesucht werden und zwei Wochen hinter Gittern verbringen. Zur Verwirrung der Behörden und des Gerichts war nicht nur die Schreibweise seiner Personalien unklar, sondern er war auch unter gänzlich anderen Namen bekannt. Die Behörden hatten ihn bei der Einreise als Senegalesen registriert, tatsächlich aber stammte er aus Gambia. Und auch die Altersangabe in den Papieren war unrichtig: Wie er am Ende des zweiten Verhandlungstages angab, ist er bereits 26 Jahre alt. Bis dato war man davon ausgegangen, dass der Mann drei Jahre jünger und zur Tatzeit noch Heranwachsender war, also das 21. Lebensjahr noch nicht überschritten hatte - deshalb wurde ja auch vor dem Jugendgericht verhandelt.

Dass er nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurde, war damit für Jehle klar - doch noch wartete ein weiteres Hindernis bis zum Schuldspruch: Trotz allen Einsatzes der Dolmetscherin war erst einmal nicht zu klären, ob der Angeklagte eine Geldstrafe aus einer Vorverurteilung wegen Diebstahls bereits bezahlt oder ersatzweise hinter Gittern verbüßt hatte. Andernfalls hätte die noch offene Strafe ins neue Urteil einbezogen werden müssen. Nach einer halbstündigen Telefonaktion aus dem Gerichtssaal mit etlichen Justizinstanzen in Baden-Württemberg geschah das Unerwartete: Als der Staatsanwalt bereits sein Plädoyer begonnen hatte, kam doch noch die Auskunft, dass die Vorstrafe verbüßt ist.

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