Gedenkfeier für Ludwig II.:"Wir sehen unsere eigenen Träume"

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Die einen wollen beten, andere laden zum antimonarchischen Freischwimmen und dann ist da noch eine Geheimaktion der mysteriösen Guglmänner. Eine Frage jedoch elektrisiert alle - auch 125 Jahre nach dem Tod des Märchenkönigs.

Jakob Wetzel (München) sowie Thomas Anlauf u. Otto Fritscher (Berg)

Es sind die entscheidenden Sätze. Seine königliche Hoheit hebt an zum Sprechen - und wird unterbrochen. Die Berger Blechläser, die sich direkt neben dem Chef des Hauses Wittelsbach formiert haben, blasen zum Abmarsch. Franz Herzog von Bayern lächelt gütig. Und die umstehenden Reporter warten geduldig. Immerhin stehen die Journalisten bereits seit Stunden am Seeufer, wenige Meter neben dem Kreuz, das an den Märchenkönig Ludwig II. erinnert.

125. Todestag von Ludwig II.
:Die Karte des Königs

Vor 125 Jahren starb König Ludwig II. im Starnberger See. Seine Spuren sind bis heute sichtbar: ob auf seinem prächtigsten Schloss, an seinem Lieblingsplatz unter der Linde oder auf seiner längsten Wanderung. Eine interaktive Grafik.

Von J. Fulda, C. Kiss, V. Schälter, E. Schmidt

Dessen Ahn steht nun also in einem hellbraunen Mantel und wartet bis sich die Blasmusiker vom obersten Wittelsbacher entfernt haben. Um seine Augen ein Kranz von feinen Fältchen, auf der Schläfe des Herzogs zieht sich fein eine blasse Ader. "Sie müssen laut und deutlich fragen. Sonst hör' ich sie nicht", hat der 77-Jährige kurz zuvor den Reportern gesagt. Zwei Fragen sind zugelassen, zwei nur. Eine Reporterin des ZDF fragt nun, was es für eine Bedeutung für das Hause Wittelsbach habe, dass die Familie zum 125. Todestags von Ludwig II. direkt an der Unglücksstelle eine Gedenkmesse zelebriert.

"Im Grunde", sagt der Urenkel des letzten bayerischen Königs, Ludwig III., wolle man "Respekt vor König Ludwig II." demonstrieren, der "ein großartiger Mensch war". Und er stehe "für die Kreativität in der Familie", neben dem "Märchenhaften steht auch seine enorme Leistung" und sein Fleiß. Respekt, Fleiß. Es klingt distanziert. Wie der ganze Auftritt des Hauses Wittelsbach an diesem Pfingstmontag in Berg am Starnberger See.

Das Volk ist gekommen in Scharen. Bereits um kurz nach neun Uhr bevölkern Hunderte Schaulustige den steilen Hang an der Votivkapelle, die zehn Jahre nach Ludwigs mysteriösem Tod im See weithin sichtbar errichtet wurde. 500 Menschen stark ist allein der Gedenkzug, der sich an diesem trüben Morgen vom Festplatz oben im Ort durch den dicht bewaldeten Schlosspark hinunter zum Seeufer zieht. Von weitem schon künden Paukenschläge das Nahen der Trachtenabordnungen an. Das normale Fußvolk darf den Ehrengästen nicht folgen, auch der Presse ist es nicht gestattet, durch den Schlosspark zu streifen. Da ist das Haus Wittelsbach streng.

1500 Menschen kommen an der Gedenkstätte zusammen. Viele sind in Tracht - manche streng traditionell, andere in Phantasiekostümen. Unten, seitlich des provisorischen Altars, Fahnenabordnungen aus Schweitenkirchen oder anderswo. Ernst blickende Männer mit mächtigen Bärten sind es, die Ludwig II. die Ehre erweisen.

Oben am Hang geht es schon etwas gelöster zu. Eine junge Frau in Dirndl flüstert etwas ihrer Nachbarin ins Ohr und beginnt sich zu schütteln. Ihr Kropfband hüpft auf und ab, nur mit Mühe kann sie ihren Lachanfall unterdrücken. Vorn an der Hecke stehen Zivilpersonen, recken ihre Kompaktkameras in die Höhe, um ein Foto von den Wittelsbachern zu erhaschen.

Sie alle sind gekommen: Franz, neben ihm Max Herzog in Bayern, Frau Elizabeth, Leopold Prinz von Bayern nebst Frau Ursula, Luitpold und Beatrix. Als Abt Johannes Eckert, Domvikar Andreas Günther und der Aufkirchener Pfarrer Piotr Wandachowicz die Szene betreten, erheben sich auch die Wittelsbacher von den Stühlen mit den weißen Hussen rechts neben dem Freiluftaltar - die Deutsche Messe von Franz Schubert erklingt zum Einzug der Geistlichkeit. An den Hängen kehrt Stille ein.

"Was macht König Ludwig zum Märchenkönig?", fragt der Abt des Klosters Andechs. "Sind es nicht unsere eigenen unerfüllten Träume, die wir in Ludwig sehen?" Ja, der König sei vielleicht "verrückt, entrückt gewesen" - wie ein Kind in seinem Spiel. Doch gerade im "zweckfreien Spiel offenbart sich Gott als Schöpfergeist", sagte Eckert. Das zweckfreie Spiel: Schloss Neuschwanstein, Linderhof, Herrenchiemsee - viele Millionen teure Spielzeuge, die letztlich dazu führten, dass Ludwigs Onkel Prinz Luitpold, den Monarchen von einer Fangkommission in Schloss Berg festsetzen und endmündigen ließ.

Hier verbrachte er seine letzten Tage und Stunden. Hier nahm er am 13. Juni 1886 sein letztes Mahl ein: Er soll geschlemmt haben, ein Bier, fünf Glas Wein, zwei Gläschen Arrak getrunken haben. Danach brach er auf, mit seinem Psychiater Dr. Gudden, hinaus in den weiten waldigen Park von Schloss Berg. Gudden und Ludwig wurden erst mitten in der Nacht gefunden. Leblos treibend im See.

Guglmänner und Märchenkönig
:Kutten für den Kini

"Es war Mord", sagen die Guglmänner. Am Pfingstmontag will die mysteriöse Bruderschaft aus schwarz vermummten Kuttenträgern mit einer noch unbekannten Aktion die Ehre des Märchenkönigs Ludwig II. wiederherstellen. Ob spektakuläre Auftritte helfen?

Ingrid Fuchs

Davon spricht an diesem Pfingstmontag niemand, nicht Abt Eckert, nicht der Pfarrer von Aufkirchen, nicht Franz Herzog von Bayern. Wie ist Ludwig wirklich ums Leben gekommen? War es Mord, wie die ominösen Guglmänner immer wieder plakativ mahnen? Sie haben sich für den Gedenkgottesdienst angesagt, mit einer ihren Blitzaktionen. "Gerüchte, nichts als Gerüchte", sagt Norbert Reller. Es ist nicht ganz klar, ob der Starnberger Polizeichef, der oben vor der Votivkapelle den Überblick über das Gelände behält, die Mordthese oder das Auftauchen der vermummten Guglmänner meint. Plakate habe es gegeben entlang des Gedenkzuges, mehr nicht. Wenige Tage zuvor waren zwei der schwarz maskierten Männer am Gedenkkreuz gesichtet worden - mit überkreuzten brennenden Fackeln. Doch bis zum Nachmittag ist keiner der Geheimbündler zu sehen.

Zwei Königstreue beim Gedenken an Ludwig II. (Foto: dapd)

Auf dem Weg, der im Schlosspark zur Kapelle führt, hatten die Guglmänner allerdings sechs Pappschilder in Form von schwarzen Kapuzen, ihrem Kennzeichen, aufgestellt. "Sargöffnung subito" war auf einem der Schilder zu lesen. Die Polizei beschlagnahmt eines der Schilder. Davon bekommen die Ludwig-Fans aber nichts mit, während sie den Gottesdienst feiern.

Draußen auf dem See schippert derweil der Ausflugsdampfer MS Seeshaupt mit Zaungästen der Zeremonie vorbei. Wirklich nahe kommt niemand an das Gedenkkreuz im seichten Wasser heran, der Seenot-Dienst hat einen hablkreisförmigen Kordon aus Segelbooten gebildet, auf dass es für die Guglmänner ja kein Durchkommen gebe. Doch die Guglmänner lassen sich bei der Gedenkfeier nicht blicken. Was vielleicht an der Wasserschutzpolizei liegt, die ebenfalls Stellung bezogen hat.

Am Mittag gibt Franz Herzog von Bayern den Reportern noch Auskunft über das, was so viele Menschen seit 125 Jahren bewegt. Wie genau ist er gestorben?, fragt eine Reporterin. "Ich weiß es genau so wenig wie alle anderen", sagt der Wittelsbacher. "Bei dem muss man es belassen. Ludwig selbst hatte einst geschrieben: Ein ewig Rätsel will ich bleiben - mir selbst und den anderen."

Szenenwechsel: In München drängeln sich Besuchergruppen die Treppe zur Königsgruft in der Jesuitenkirche St. Michael hinunter. Von 13.30 bis 16 Uhr können die Kini-Fans das Grab des Monarchen bestaunen. Gruppen von 25 bis 30 Menschen gedenken des Märchenkönigs unten in der Gruft. Einige legen Blumen ab. Guglmänner sind nicht unter den Besuchern. "Wenn hier ein Guglmann auftaucht, bitte ich ihn freundlich, die Kirche zu verlassen. Sonst kommt die Polizei. Das ist schließlich Hausfriedensbruch", sagt Gruftaufseher Nikolaus Kern. Bei ihrem bislang letzten Besuch vor elf Jahren hatten die kapuzentragenden Königstreuen eine Kamera unter den Sarg geschoben und stolz verkündet, sie hätten auf der Unterseite des Sarges ein Loch gefunden. Grabräuber hätten also den Leichnam Ludwigs entwendet. Seitdem schützt den Sarg des Königs ein Absperrgitter - nicht vor Grabräubern, sondern vor den Guglmännern.

Am Starnberger See scharen sich derweil rund 50 Anti-Royalisten um den vormaligen Altar, der zur Kleinkunstbühne umfunktioniert wurde. Wolfram Kastner vom Verein Das andere Bayern steht vor der Harfe der Operbayern, eine Taucherbrille auf den Kopf, und schimpft gegen die "Verblödungspropaganda" des Hauses Bayern: "Wir derblecken jetzt diesen umnachteten Ludwigs-Kult", ruft Schauspielerin Maria Peschek den Aktivisten zu. "Wir machen uns eine Gaudi aus der Gaudi, die die Wittelsbacher mit unserem Märchen machen." Dann gehen die Prostler schwimmen, grotesk verkleidet und mit Gummi-Krokodil samt Königskrone.

Am Nachmittag sind dann die Königstreuen in die Münchner Jesuitenkirche St. Michael weitergezogen. Das Orchester spielt, der Chor des Collegium Monacense singt, Kardinal Marx grüßt artig die "Königliche Hoheit" auf dem Chorgestühl und lobt den toten König. Auch heute noch spreche er die Menschen an, habe ihnen etwas zu sagen: als ein Suchender, und als ein Leidender. Marx findet an diesem Abend viel Gehör.

Die Michaelskirche ist restlos gefüllt, an der Messe teilzunehmen hat zumindest sportlichen Charakter, es heißt Stehen, über knapp zwei Stunden hinweg. Die Sitzplätze sind schon eine Stunde vor Beginn um 17 Uhr belegt, die Menschen stehen auf den Gängen, sogar im Mittelgang. Immer wieder drängen einzelne der meist älteren Kirchenbesucher nach draußen, um Luft zu schnappen. Für den Notfall halten sich an den Seiten des Kirchenschiffes Sanitäter bereit.

Vorne haben Royalisten, Trachtenvereine, Gebirgsschützen und Ludwig-II.-Vereine ihre Standarten aufgebaut, auch ein bayerisches Banner weht im Weihrauch. Die Familie Wittelsbach sitzt in den reservierten ersten Reihen oder, wie Familienoberhaupt Franz von Bayern, im Chorgestühl. Um 16.30 Uhr haben Ludwigs Verwandte die Fürstengruft besucht, in aller Ruhe, das übrige Volk war da bereits ausgesperrt.

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