Gauting:Wilder Ritt

Lesezeit: 2 min

Zauberer: Freddy Engel, Christl Wein-Engel und Jürgen Junggeburth. (Foto: Georgine Treybal)

"Di Farykte Kapelle" eröffnet die Herbstsaison im Bosco

Von Reinhard Palmer, Gauting

"Freylach soll seyn! Eine schene Nacht soll seyn!", hieß es zur Begrüßung, und beides sollte wahr werden: Das Gautinger Bosco feierte den Start in die neue Saison mit der Gruppe Di Farykte Kapelle, die so etwas natürlich eigenwillig erledigt, also nicht nur einfach mit Laune machender Musik zwischen Klezmer und Weltmusik. Der Auftritt des Quintetts hatte eine gewisse Magie, die wohl aus der unentwegt wechselnden Mischung herrührte aus Nostalgie, jiddischer Poesie, liedhaften Geschichten vom Balkan wie auch aus dem Orient - und Zirkus. So nennt die Formation jedenfalls dieses besondere Element, das da irgendwie irritierend alles leicht ins Absurde tunkt. Nur andeutungsweise. Und weniger mit Witz oder Satire. Es ging vielmehr um eine emotionale Überzeichnung, die als übertriebene Inbrunst rüberkam. Kein Grund zum Lachen, und doch nicht ganz ernst zu nehmen.

Diese Gratwanderung war vor allem dem Kopf der Formation zu verdanken: Freddy Engel, einem Tausendsassa der Kunst. Mit dem Job als vielseitig ausgebildeter Zeichner und Illustrator gibt er sich nicht zufrieden. Seine Bühnen- und Theaterprojekte drehen sich meist um die Bühnengestaltung. Doch in der Musik ist er genauso zu Hause. Flöten, Saxophone und Klarinetten sind seine Instrumente, mit denen er in absoluter Hingabe spricht, lacht, erzählt. Und er singt. Oder besser: Er erzählt gesanglich, hingebungsvoll mit Haut und Haar. Etwa von "Tsen brider senen mir gewesn", das wie kein anderes Lied das "Lachen durch Tränen" zelebriert, wie Schostakowitsch die Eigenheit der jiddischen Musik bezeichnete. Erstaunlich dabei die musikalischen Parallelen in der leidenschaftlichen Musik aus dem Balkan, aus Mazedonien, der Türkei, Griechenland, ja sogar Nordafrika und Sizilien.

Diese weltmusikalisch stilistische Verquickung war kein Zufall, sondern sollte die vielen musikantischen Eigenheiten zu einer konsistenten Form verbinden. Und die hatte es in sich. Die Musiker gaben alles, um die farykte Reise durch diverse Kulturen zu einem extrem intensiven, bisweilen wilden Ritt werden zu lassen. Vor allem die beiden Bläser, Freddy Engel und Menya Arnold (Trompete), schmetterten sich ihre Stimmen gegenseitig um die Ohren. Während Engel herumkreiste oder rockig sang, hielt sich Arnold nicht zurück und ließ das Bläserblech ordentlich gegen die Trommelfelle der vielen Besucher hämmern. Umso mehr, wenn Engel mit chromatischen Reibungen die Harmonien zuspitzte und schrille Dissonanzen provozierte.

Begeisterung sowohl im Publikum als auch unter den Musikern löste Engel mit experimentellen Flöteneinlagen aus. Überblasenes Tremolieren, Duette mit eigener Singstimme oder Spielereien mit Luftgeräuschen erinnerten fast an Jethro Tull und die Nachfolger der Achtzigerjahre. Bisweilen nahm Engel das Instrument auseinander und steuerte fremdartige Effekte bei, schon mal solistisch in Form von freien Kadenzen, wie man sie von der klassischen Musik her kennt.

Der Rest der Kapelle lieferte in der Regel das Fundament. Während Christl Wein-Engel am Akkordeon für harmonische Fülle und adäquate Stimmungen sorgte, waren Jürgen Junggeburth am Kontrabass und Roman Seehorn am Schlagzeug und an den Perkussionsinstrumenten der unerbittlich treibende Motor im Offbeat. Bisweilen in einem schwindelerregenden Tempo, das den wirbelnden Taumel der Bläser intensivierte und das Hasten wild steigerte. Aber auch schon mal bildhaft-suggestiv, etwa im Karawanentrott. Bei den Schlagzeugsoli zeigte sich Seehorn als hochinspirierter Klangbildner mit Hang zur Leichtigkeit und Transparenz, auch wenn sonore Trommeln vorherrschten. So entstand ein packender Zugriff, der zielsicher für Euphorie beim Publikum und in der Folge für Zugaben sorgte.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: