Gauting:Weltoffene russische Seele

Lesezeit: 2 min

Bratschistin Julia Rebekka Adler und Aglaya Sintschenko am Klavier beim Kleinen Sommerfestival in der Remise von Schloss Fußberg. (Foto: Georgine Treybal)

Aglaya Sintschenko, Svetlana Scheurell und Julia Adler erspüren Schwermut und Pathos in Werken von Tschaikowski, Rachmaninow und Glinka - zeigen aber auch deren Internationalität auf

Von Reinhard Palmer, Gauting

Nachdem zum Muttertag drei Herren das siebte Kleine Sommerfestival in der Remise von Schloss Fußberg eröffnet hatten, sind nun zum Vatertag drei jüngere Damen gefolgt. "Meisterhaftes aus Russland" stand auf dem Programm, ausgeführt von den zwei Russinnen Aglaya Sintschenko, Klavier, und Svetlana Scheurell, Sopran, sowie von Julia Rebekka Adler, stellvertretende Solobratschistin bei den Münchner Philharmonikern. Wie so oft bei russischen Konzerten wurde auch in Gauting das Programm spontan umgestellt, zwischendurch ergänzt oder mit vielen, bisweilen sehr feierlichen Worten garniert. Was diese Matinee aber aus dem Rahmen hob, war ein anderer Blickwinkel, der den musikalischen Vortrag publikumsnäher präsentierte. In der Remise stellten die Musikerinnen die Werke nicht auf den musealen Sockel, sondern rückten sie in greifbare Nähe.

Während nach der Pause mit der Vertonung von Poesie das melancholisch-elegische, bisweilen schwermütige Element dem Ruf der viel beschworenen russischen Seele gerecht werden sollte, offenbarten sich die kammermusikalischen Werke eher als weltoffen und von internationalen Strömungen nicht unberührt. Selbst die Kompositionen von Michail Glinka, der als Vater der national gefärbten russischen Schule gilt, offenbarten gerade am Klavier diverse Einflüsse, die einiges über Glinkas viele Studienreisen verrieten. Vor allem in den Variationen über die Romanze "Die Nachtigall" griff Sintschenko die Brillanz der Klaviermusik Chopins auf. Die zwei Sätze der unvollendeten Sonate d-Moll für Viola und Klavier bezauberten indes mit Kantilenen im Stil italienischer Arien: Sie wurden empfindsam von Adler erspürt, aber auch mit gewichtiger Dramatik verdichtet und so in einen neuen, pathetischen Kontext gesetzt. Ein origineller Einfall war es, das fehlende Scherzo mit einem musikantisch schmissigen Tanz zu ergänzen, der im Nachhinein die Verbindung zur russischen Volksmusik erhellte.

Sergej Rachmaninow war durch seine Reisen bis in die USA ein kosmopolitischer ener Pianist und Dirigent, der sich auch als Komponist an keine Landesgrenzen hielt. Seine spritzige, kapriziöse Humoresque op. 10/5 und sein bildhaft erzählendes Polichinelle op. 3/4 weisen bereits mit ihrer Thematik auf Zusammenhänge hin, die auf alle Fälle außerhalb Russlands liegen. Die von Sintschenko nachgereichte, verspielt-heitere Polka demonstrierte die Metamorphose von fremden Einflüssen zu Rachmaninows eigenen, fulminant-virtuosen Kreationen.

Bei den Liedern in russischer Sprache half es, dass die Texte vorab in Deutsch gelesen wurden. Die sprachlich komplexe Poesie des Originals vermochte Swetlana Scheurell mit ihrer großen Opernstimme in der Atmosphäre sowie im emotionalen Ausdruck spürbar zu machen. Dabei wurde die Sopranistin höchst aufmerksam von Sintschenko getragen, die es versteht, Klangmalerei zu erschaffen. Ob im schlüssigen Verlauf der feinsinnigen Dramatik bei Nikolaj Rimskij-Korsakow oder als Rezitativ und Arie szenisch ausgestaltet bei Sergej Tanejew, ob von großer Dramatik und in orchestraler Gewichtigkeit bei dessen Lehrer Pjotr Tschaikowski oder weit gespannt im emotionalen Ausdruck bei Tanejews Schüler Rachmaninow: Scheurell nahm sich zurück, suchte die Balance zur Begleitung Sintschenkos, ließ aber auch in den Höhepunkten große Substanz erklingen. Als Zugabe gab das Trio eine kleine Märchenerzählung vom Schneeflöckchen von Rimskij-Korsakow wieder.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: