Auch Profibands gehen in die Tonküche :Onkel Sigi und die Newcomer

Lesezeit: 3 min

Siegfried Schöbel hat in seinem Gautinger Studio "Tonküche" auch schon mit Profibands gearbeitet. Aber die meisten seiner Kunden sind Amateurmusiker, die für vergleichsweise wenig Geld eine Demo-CD oder auch ein ganzes Album aufnehmen wollen. Und verblüfft sind über das Ergebnis

Von Gerhard Summer, Gauting

Es gibt Tonstudios, die sind Zauberkammern. Neumann-Mikros überall, dazu Vintage-Gitarren und genauso seltene Verstärker. Ausladende Mischpulte mit 72 Kanälen, die aussehen, als könnte man damit mindestens bis zum Mars fliegen, mittendrin ein schwarzer Flügel, und über allem ein verwöhnter Tonmeister, der schon mit Alvin Lee, Joe Cocker, Phil Collins und Mother's Finest aufgenommen hat. Wer zum Beispiel bei Peter Maffay in Tutzing eintritt, wird vor lauter Ehrfurcht gleich ein paar Zentimeter kleiner.

In der Gautinger "Tonküche" wäre das vielleicht auch ganz praktisch, denn die abgehängte Decke hat nicht eben Altbau-Höhe. Aber Ehrfurcht? Staunen? Bammel? Immer mal halblang. Siegfried Schöbels kleines Keller-Studio ist gut ausgestattet, keine Frage, aber der Chef macht einen weiten Bogen um völlig überteuertes Equipment und eher "esoterische" Gerätschaften. Auch Laien werden deshalb nicht gleich vor Respekt und Rührung in die Knie gehen, und wahrscheinlich ist es genau das, was Schöbel will. Er versuche, sensiblen Musikern "ein Wohlfühlgefühl zu verschaffen", um so "das Maximale aus ihnen herauszuholen", sagt er. Denn auch mit Freizeitbands, die sich in einem teuren Profistudio womöglich ein wenig fehl am Platz fühlen, kann "etwas entstehen, wofür man sich am Ende nicht schämen muss". Zumindest, wenn "man's mit Liebe macht". Schöbel hat dafür eine Art Erfolgsformel parat: "70 Prozent sind Psychologie, 30 Prozent Technik."

Alles im Griff: Siegfried Schöbel, der Inhaber des Gautinger Tonstudios "Tonküche". 150 Bands und einzelne Künstler haben bei ihm aufgenommen. (Foto: Nila Thiel)

"Onkel Sigi", wie der 52-Jährige mit dem sorgsam gezwirbelten Musketierbart auch genannt wird, ist seit 25 Jahren im Geschäft. Seine Preise sind sehr zivil, er dürfte inzwischen mit 150 Bands und einzelnen Künstlern gearbeitet haben, natürlich auch mit Profis wie dem Tausendsassa Erik Berthold aus Oberpfaffenhofen, den Rockern von Strange Brew oder der Jazzsängerin Susanne Karl. Aber hauptsächlich hat er es mit Amateuren zu tun, die Demoaufnahmen brauchen, ein eigenes Album rausgeben wollen oder vielleicht auch nur eine Tonspur mit weit aufgerissenem Gitarrenverstärker einspielen möchten. Und weil der Geschmack des von Billy Joel, Saga, Kraftwerk, Achim Reichel, Wagner und den Eagles geprägten Studiochefs erstaunlich breit ist und er Blasmusik genauso gut findet wie Tanzmucke, sind bei ihm schon die unterschiedlichsten Formationen ein- und ausgegangen. Pete Louis & die scharfen Karpfen gehörten genauso wie die Egerländer Trachtenkapelle Waldkraiburg zu seinen Kunden, dazu La Occasio aus Schwabmünchen, Jazzer Dieter Bader mit Band oder die Formation Montoya.

Der gebürtige Münchner, der zum Ziehvater der Newcomer geworden ist, wäre beinahe in einer Branche gelandet, die mehr mit Papierkram, Einkauf und Warenlagerung zu tun hat. 1965 war er mit seinen Eltern nach Gauting gekommen, nach der Schule machte er eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann. "Doch das war nichts für mich", er habe sich schließlich immer schon für Kunst und Musik interessiert. "Aus der vorgegebenen Schiene rauszukommen", sei freilich nicht einfach gewesen. Sein erstes Tonstudio, das diesen Namen verdient, machte er in den Neunzigerjahren im Wolfratshauser Ortsteil Waldram auf, an der Sudetenstraße. Es hieß "Sigisizer", weil Onkel Sigi eine Vorliebe für Synthesizer hat. Die Musikkabarettisten von Faltsch Wagoni kamen damals samt weißem Hund zu Aufnahmen vorbei. Danach hatte Schöbel zweimal Pech: Aus seinem Studio auf dem jetzigen KIM-Gelände in Krailling musste er raus, weil die alte Bundeswehrhütte abgerissen werden sollte. Und sein Gastspiel auf einem Bauernhof in Oberndorf bei Haag endete ebenfalls abrupt: Schöbel kündigte nach einem Wasserschaden, er sei "in Panik" gewesen, wie er heute sagt, weil sich zunächst nicht ergründen ließ, warum Wasser auf sein Equipment lief und er 70 Eimer aufstellen musste, um es aufzufangen. Immerhin, den selbst ausgebauten Aufnahmeraum in Oberndorf behielt er.

Produktionen aus der Tonküche

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(Foto: Nila Thiel)

Das Album "Still Crazy" der Gautinger Jazzerin Susanne Karl.

Produktionen aus der Tonküche

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(Foto: Nila Thiel)

"Boleros y más I" des auf Bolero spezialisierten Duos Pasión.

Produktionen aus der Tonküche

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(Foto: Nila Thiel)

Der "Egerländer Melodienstraus" der Egerländer Trachtenkapelle Waldkraiburg.

Jetzt also wieder Gauting. Schöbel ist in sein Elternhaus zurückgekehrt, der Vater hatte es ihm nach der Malaise angeboten. 60 Quadratmeter Glückseligkeit für Musiker. Die Wände sind holzvertäfelt, aufgedoppelt und akustisch getuned. Alles fein säuberlich, Onkel Sigi ist generell ein Freund der Ordnung. Diese Tonküche wirkt gemütlich, aber es geht schon sehr eng zu im Keller. Die Gesangskabine - gerade mal acht Quadratmeter. Der Platz für Gitarristen - die ehemalige Sauna neben Dusche und Waschküche. Von wegen Konzertsaal mit schwarzem Flügel. Aber klar, großer Sound ist in der kleinsten Hütte. Und dieser warme, satte, feingestaffelte Klang ohne Härten, der einem suggeriert, dass man ein Instrument mit Händen greifen kann, gehört zu Schöbels Markenzeichen.

Der Mann ist nun mal "Soundfetischist".

Bis ein Song im Kasten ist, dauert es in der Regel zwei Tage. Wobei der Aufbau der aufwendigere Part ist. Sechs Stunden gehen allein dafür drauf, bis alle Mikros richtig stehen, die Instrumente sauber eingepegelt sind, bis nichts mehr schnarrt und das Kopfhörer-Monitoring für jedes Bandmitglied passt. Die Aufnahme eines Stücks ist dann oft in zwei Stunden erledigt. Onkel Sigi setzt dabei auf eine Art Live-Situation. Denn er hält wenig davon, eine unerfahrene Formation dazu zu zwingen, alle Instrumente nacheinander einzuspielen. Schlagzeuger, Bassist, Rhythmus-Gitarrist, Keyboarder und Sänger legen also gleichzeitig los. Solos, Bläser und Background-Gesang kommen später im Overdub-Verfahren dazu. Sieben Mann können gleichzeitig in der Tonküche spielen, mehr geht nicht. Mit großen Chören oder den Egerländern weicht Schöbel nach Oberndorf aus.

Am Ende, wenn drei, vier Songs im Kasten sind und die Band in den Regieraum mit dem großen Mischpult und den Boxen kommt, um das Ergebnis anzuhören, sind die Musiker oft verblüfft. Onkel Sigi zwirbelt seinen Bart und sagt: "Viele hätten nie gedacht, dass sie das können."

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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