Gauting:Letzte Leidenschaft

Die Nachfrage fehlt. Deshalb löst Stefan Feigl seine Druckerei-Werkstatt in der Reismühle auf. Damit geht auch ein Stück Handwerkskunst verloren. Aber zwei kleine Maschinen will der Grafiker behalten - und weiter machen

Von Annette Jäger, Gauting

Die schöne alte Krause muss weg. Sie ist in die Jahre gekommen, 145 sind es genau. Dabei hat sie sich gut gehalten. Noch immer greifen die Zahnräder geschmeidig ineinander, die Gangschaltung funktioniert mit einem satten Klicken. Sie hat schon viel geleistet in ihrem Leben, sogar Werke von Picasso und Baselitz wurden auf ihr gedruckt, der guten alten Kupferdruckmaschine der Firma Krause in Leipzig. Jetzt muss sie in den Ruhestand, dabei würde sie es gut noch eine Weile machen. Der Grafiker Stefan Feigl trennt sich nur schweren Herzens von "seiner Krause". Aber es muss sein. Bis Ende September löst er einen Großteil seiner Werkstatt, spezialisiert auf Kupfer- und Buchdruck, in der Ateliergemeinschaft der Gautinger Reismühle auf. Die historische Maschine von 1870 - eine der letzten im Originalzustand, vermutet Feigl - muss dabei dran glauben. Wenigstens soll sie einen Ehrenplatz erhalten, im Museum, sagt Feigl, und am liebsten im Deutschen. Die ausrangierte Krause ist Teil einer traurigen Geschichte eines aussterbenden Handwerks.

Karl Marx lächelt von der Wand, ein paar Spinnweben hängen ihm übers Gesicht. Sein Porträt erscheint aus einem mit Bleilettern gesetzten Text. Durch die verschiedenen Schriftstärken - dick und dünn - tritt seine markante Visage mitten aus dem Text hervor. An einer Schnur daneben hängen Plakate der Olympiade 1972 in München - "die Typo", sagt Feigl, der Schriftzug, ist einst in der Werkstatt von Feigls Vater, der Schriftsetzermeister ist, entstanden und auf der Maschine gedruckt worden, die heute noch in der Werkstatt des Sohnes in der Reismühle steht. Zwei Arbeiten, die an bessere Zeiten erinnern. Als Drucken noch viel Handarbeit war und gefragtes Handwerk. Die vielen Farbtiegel und Walzen in der Reismühle, die verschmierten Lumpen und Probedrucke auf den Arbeitsplatten, die farbverkrustete Schürze, die am Zahnrad der guten alten Krause hängt, erzählen davon.

Im Jahr 2009 ist Feigl, Diplom-Designer, mit seiner Werkstatt vom Ostbahnhof in die Reismühle umgezogen, in der viele Künstler ihre Ateliers haben. Die alten Maschinen - zwei Kupferdruck- und zwei Buchdruckmaschinen - hatte er einst angeschafft, um vor allem seine eigenen Arbeiten als Grafiker zu drucken. Die alte Krause hat er von der bekannten Kunst- und Kupferdruckerei Dunkes in München übernommen, in der Feigl sich das Handwerk des Kupferdruckers vom Inhaber persönlich abgeschaut hat. Neben eigenen Arbeiten druckt Feigl auch für andere Künstler Radierungen und außerdem Einladungskarten, Weinetiketten, CD-Hüllen und Visitenkarten - Überlebensarbeiten für Kunden, die die alte Handarbeit schätzen. Für Studenten verschiedener Hochschulen hat Feigl als Dozent bis jetzt zur Werkstattaufgabe auch Workshops gegeben.

Doch das Interesse an den alten Techniken ist in den letzten Jahren immer weniger geworden. Die Studenten klicken heute lieber mit der Maus am Computer, nur wenige Künstler arbeiten noch mit dem Kupferdruck und die anderen Kunden lassen lieber billig bei Online-Druckereien produzieren. Mehr als 500 Jahre hat sich an der alten Technik des Buchdrucks mit Bleisatz nicht viel geändert. Dann kam Ende der 1960er Jahre der Fotosatz auf und spätestens seit der Digitalisierung ist die Geschichte des Bleisatzes auserzählt, sagt Feigl. Heute komme der Buchdruck mit Bleisatz nur noch bei Liebhaberproduktionen in sehr kleinen Auflagen zum Einsatz. Doch auch in diese Nische drängle sich nach und nach die digitale Drucktechnik mit verblüffender Qualität. Anders beim Kupferdruck. Feigl zieht eine Radierung aus dem Archivschrank. "So ein Schwarz, in dieser Tiefe, bringst Du nicht anders her", sagt er und fährt mit der Hand über das Blatt. Gerade beim Kupferdruck sei die Qualität des alten Handwerks unerreicht von modernen Druckverfahren. "Die künstlerische Grafik ist die letzte Nische, die der alten Drucktechnik geblieben ist."

Aber was bringt's? "Die Arbeit, die ich bräuchte, gibt es nicht mehr", sagt Feigl. "Ich hab Studenten, die nicht wissen, was Linoldruck ist - wo soll die Wertschätzung für das alte Handwerk herkommen?" Deshalb muss sie weg, die schöne, alte Krause und auch die anderen Maschinen und der Schrank mit dem tonnenschweren Bleisatz. Es ist auch ein Verlust für die Künstlergemeinschaft in der Reismühle. Aber ganz will Feigl sich noch nicht geschlagen geben. Von der kleinen Buchdruck- und der kleinen Kupferdruckmaschine wird er sich nicht trennen, sie ziehen in einen kleinen Raum in den Turm der Reismühle um. "Ich produziere weiter." Die Leidenschaft lebt. Ein letzter Aufschrei eines alten Handwerks geht noch. "Gott grüß die Kunst", heißt ein alter Spruch unter Bleisetzern. Stefan Feigl kennt ihn noch.

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