Gauting:"Ich habe Feuer gefangen"

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Rainer A. Köhler, der für die Klassikkonzerte im Bosco verantwortlich ist, spricht darüber, wie seine Reihe entstand und wie sie vom Publikum angenommen wird

Interview von Gerhard Summer, Gauting

SZ: Herr Köhler, Sie haben im Jahr 2016 eines der aufwendigsten Programme seit Gründung des Klassikforums im Gautinger Bosco auf die Beine gestellt. Hat sich das ausgezahlt, was die Zuschauerzahlen betrifft?

Rainer A. Köhler: Ja. Wir hatten zwei Sonder- und zwölf Abokonzerte, und bis auf ein einziges waren alle ausverkauft. Beim Quatuor Ébène gab es sogar eine lange Warteliste.

Wie viele Leute standen da drauf?

Ich weiß es nicht genau, vielleicht 30 oder 40. Insgesamt hatten wir bei den 14 Konzerten mehr als 4000 Zuhörer.

Ist das Besucherrekord?

Das kann man sagen. Wir hatten zwar einmal ein Jahr mit mehr Konzerten, nämlich mit 18, die waren aber zum Teil als Sonderkonzerte schlecht besucht.

Klassik ist ja ein sehr konservatives Fach. Kommen im Bosco auch außergewöhnliche Besetzungen und Stücke an?

Ja, das war beim Schostakowitsch-Projekt der Fall, einem klassischen Klaviertrio mit zwei Schlagzeugern, die auf zwölf Schlagwerken spielten. Für mich war das eine große Herausforderung, weil ich mir Schostakowitschs 15. Sinfonie nicht in Kammermusik-Version vorstellen konnte. Ich war risikofreudig und hab' gesagt: Das nehmen wir. Und weil die Besetzung toll war - unter anderem Natalia Prischepenko, Gründungsmitglied des Artemis Quartetts - ,habe ich mir gedacht, das kann nicht schiefgehen. Tatsächlich habe ich dann noch tagelang von Besuchern gehört, wie toll das war. Natürlich, die klassischen Freunde wirkten zunächst einmal überrascht. Aber grundsätzlich war das Feedback positiv, und das hat mich sehr gefreut. Wir bringen im Bosco außerdem auch Bläsergruppen, die in Münchner Konzertprogrammen ganz selten sind.

Ist das nicht ein Ansporn, noch mehr auf ungewöhnliche Projekte zu setzen, die selbst in Musikstädten wie München, Berlin oder Wien rar sind?

Das war mein Ehrgeiz auch für das nächste Jahr. 2017 kommt ein Ensemble aus Berlin, das "Counterpoint" heißt. Da ist Sacha Rattle dabei, der Sohn von Sir Simon Rattle, einem der größten Dirigenten weltweit neben Kirill Petrenko. Und "Counterpoint" spielt beispielsweise eine Bearbeitung von Strawinskys "Sacre du Printemps". Das große Skandalstück von 1913 - in einer Kammermusik-Fassung. Also nicht nur Bach, Beethoven, sondern auch Strawinsky mit einer Bläsergruppe. Und das wird bestimmt ein großartiges Konzert werden.

Das Holzbläsersextett Les Vents Français gastierte im April im Bosco. Das Bild zeigt zwei der Musiker, Emmanuel Pahud und Gilbert Audin (von links). (Foto: Nila Thiel)

Was kostet es, Weltklassemusiker nach Gauting zu holen?

Schon die Nebenkosten sind nicht zu unterschätzen, beispielsweise die GEMA-Gebühren. Zeitgenössische Musik aufzuführen, ist nämlich leider sehr teuer. Das müsste anders sein. Man müsste Kleinveranstaltern wie uns die Möglichkeit geben, dem Publikum zeitgenössische Musik näher zu bringen. Die großen Orchester, die hohe Zuschüsse bekommen, könnten die GEMA besser bezahlen. Tatsächlich ist es aber so, dass wir bestraft werden. 2015 machte das 2700 Euro aus, das muss man sich mal vorstellen, nur für die GEMA.

Insgesamt fürs ganze Jahr?

Ja, 2700 Euro. Dazu kommt die Künstlersozialkasse mit 5,2 Prozent und Hotel-, Reise- und Bewirtungskosten. Das nächste Ensemble, das Parker Quartet, kommt direkt aus Boston hierher, die machen eine Tournee, aber wir müssen den Flug anteilsmäßig bezahlen. Außerdem überweisen wir an die Gemeinde Saalmiete, der Flügel muss gestimmt und regelmäßig gepflegt werden. Dazu kommt die Lichttechnik, da wird unter Umständen bis zu einer Stunde lang probiert, wo die Musiker sitzen sollen. Und schließlich sind da noch die Inserate, das Programm mit Grafiken und Texten, die Einführung. Das alles summierte sich 2016 auf einen unteren fünfstelligen Betrag.

Decken denn die Einnahmen aus dem Kartenverkauf die Gagen?

Ja. Wir können die Preise aber nicht noch anheben, wir haben viele Rentner, die sich diese zwölf Konzerte mühsam vom Mund absparen.

Müssen Sie privat Geld zuschießen?

Ich stehe bei der internen Abrechnung mit dem Bosco finanziell gerade. Ich habe einmal einen größeren Zuschuss gegeben, damit wurde der Steinway-Konzertflügel bezahlt und die Akustikwände mitfinanziert. Aber wenn sich bei der Abrechnung 2016 im Januar zeigen sollte, dass ein Defizit entstanden ist, muss ich das aus meiner Kasse bezahlen.

Wenn es also blöd läuft, kann Ihnen das Klassikprogramm richtig teuer zu stehen kommen?

Teuer womöglich, aber nicht richtig teuer, wir kämpfen ja für gute Programme. Wir wissen auch, etwa von namhaften BR-Leuten, dass die Leute im Würmtal ab Pasing nicht mehr nach München fahren, sondern nach Gauting gehen.

Was treibt Sie an?

Man kann nicht sagen, dass ich schon 1999 den Wunsch hatte, eine Klassikreihe aufzubauen, die im Landkreis führend ist. Da war zuerst einmal die Neugierde, zu sehen, was in Gauting einschlägt. Klassik in Gauting gab es ja damals nicht. Alles fing mit dem Konzert 1999 in der Frauenkirche mit neun Musikern der Berliner Philharmoniker an. Da war kein besonderer Ehrgeiz dabei und kein Hintergedanke, nur der Spaß stand im Vordergrund. Ich bin in der Frauenkirche getraut worden, mein Vater und ich haben zusammen mit Pfarrer Winkelmaier die unter Putz liegenden Fresken freilegen lassen - ich hatte also einen direkten Bezug zur Frauenkirche. Und ich bin mit einigen der Berliner Musikern befreundet. Das war ein tolles Konzert.

Das Ganze hat sich langsam entwickelt?

Ja, ich bin dann zu dem Geiger Ingolf Turban gegangen, der Stockdorfer ist, zu dem Pianisten Wolfgang Leibnitz, der damals auch in Gauting gelebt hat, und zu Julia Fischer, die damals noch Schülerin war. Sie hat mehrere Konzerte ohne Gage in der Frauenkirche gegeben, mit einem Sextett, zu dem auch die Geigerin Lena Neudauer gehörte. Vielleicht war es der Erfolg, der mich angetrieben hat, in die Welt der Kammermusikliteratur vorzudringen. Ich war als Besucher damals mehr in großen Konzerten, ob in München, Berlin, Salzburg, Wien oder sonstwo. Aber mich hat es gereizt, mich in die Kammermusik einzuarbeiten. Ich habe Feuer gefangen, und Hans-Georg Krause, der Leiter des Kulturhauses Bosco, ist nicht jemand, der bremst, sondern der mit Gas gibt. Er hat gesagt: Das machen wir! Allmählich geht man immer höher hinauf, immer weiter nach oben. Da sind wir jetzt angelangt und müssen dieses hohe Niveau halten, damit wir uns im Kampf um die Exklusivität mit den Münchner Großveranstaltern behaupten können.

Das ist wie mit den Michelin-Sternen. Einen zu bekommen, ist nicht so schwer, aber ihn zu behalten, sehr.

Und das verwöhnte Publikum im Restaurant wird einen Fehler nie verzeihen. Einmal schlecht gekocht - geh ich nie mehr hin. Bei uns ist es so ähnlich, aber das ist überall so. Was mir eine Freude ist: dass es in vielen Orten im Landkreis und darüber hinaus, ob in Tutzing, Feldafing, Seeshaupt, Herrsching oder Planegg, zu einer Explosion der klassischen Musik gekommen ist. Das Goldmund Quartett spielt sogar in Wörthsee. Ein Traum. Großartig. Und es gibt Leute, die da hingehen. Ich glaube, dass wir den Grundstein dafür gelegt haben, dass die klassische Musik so freudig angenommen wird.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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