Gauting:Feinsinn und Fingerspitzengefühl

Orchestervereinigung Gauting meistert anspruchsvolles Programm mit Kollateralschäden

Von Reinhard Palmer, Gauting

Ein voller Saal: Nicht nur, weil das treue Publikum der Orchestervereinigung Gauting gekommen war, sondern auch, weil Solist Simon Schachtner in Gauting lebt und schon als Schüler staunen ließ, nun studiert er an der Musikhochschule Leipzig. Ein weiterer Publikumsmagnet war zweifelsohne auch das Dvořák-Programm mit großer sinfonischer Besetzung, für die der Bühnenraum erweitert werden musste. Dorian Keilhack, musikalischer Leiter wagte so einen weiten Vorstoß ins feinsinnige Orchesterrepertoire, das von den Instrumentalisten enormes Einfühlungsvermögen, aber auch solide spieltechnische Gewandtheit verlangte.

Tutti mit Schmetterblech waren natürlich kein Problem und bescherten auch opulente Höhepunkte. Eine Herausforderung waren vielmehr die zarten Rücknahmen in warmes Kolorit und empfindsame Gesänge. Dvořáks Cellokonzert h-Moll op. 104 und vor allem die beliebte Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 haben viel von sinfonischen Dichtungen, die eine pastorale Wärme zugrunde legen. Die Schönmelodik böhmischer Couleur war ein starkes poetisches Element und die Orchestervereinigung verfügte über Bläser, die ihre Solopassagen absolut überzeugend darzubieten vermochten. Die melodische Aufgabe lag vor allem in Schachtners Hand. Sein temperamentvoller Einstieg wirkte etwas zu ambitioniert und es dauerte einige Takte, bis Solist und Orchester auf den gemeinsamen Nenner kamen und eine klangschöne Homogenität im Dialog pflegten.

Leicht machte es Schachtner dem Ensemble nicht. Seine Rücknahmen in den innig-feinfühligen Passagen gingen schon sehr weit, überzeugten aber zugleich mit berührender Empfindsamkeit. Die langsamen Sätze Dvořáks sind von betörender Schönheit, die hier mit viel Fingerspitzengefühl das Publikum erreichte. Sowohl im Adagio des Cellokonzerts wie im Largo der Sinfonie "Aus der Neuen Welt" wuchs das Amateurorchester deutlich über sich hinaus und konnte selbst die freie Rubato-Gestaltung homogen meistern. Sichtlich wohl fühlten sich die Musiker, wenn es darum ging, lustvoll und spielfreudig dem böhmischen Musikantentum zu frönen. In der Sinfonie kommen solche Passagen unentwegt vor. Keilhack, der die Fäden energisch festhielt, nahm das Tempo etwas zurück: Das kam vor allem der klanglichen Gestaltung zugute, die Instrumentalisten konnten die Töne bewusster ausspielen. Allerdings brachte das auch mit sich, dass sich lang auszuhaltende Ausklänge in fragil austarierter Balance weiter hinauszogen und dabei schon mal ins Wanken gerieten: Ein Kollateralschaden, der zu verkraften war. Priorität hatten die weit gespannten Bögen, die zwischen dem langsamen Aufrollen zum Satzbeginn, den fulminanten Höhepunkten und den lang gedehnten Schlüssen enorme musikalische Räume zu überbrücken hatten. Frenetischer Applaus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: