Gauting:Die Zeit im Kuss anhalten

Unterbrunn, Literaricher Herbst 2016

Die Frau spricht, der Mann spielt: Laura Maire und Johannes Öllinger beim Auftritt in Unterbrunn.

(Foto: Georgine Treybal)

Der Literarische Herbst verbandelt Dichtung und Musik

Von Reinhard Palmer, Gauting

Wer hätte das gedacht, dass man sich in Gauting-Unterbrunn so stilvoll das Ja-Wort geben kann? Inmitten eines großen Gartens neben der Kirche steht der alte Pfarrhof, dessen Räume heute für standesamtliche Trauungen, aber auch für Tagungen und sonstige Events gebucht werden können. Und mit dem Literarischen Herbst 2016 von Elisabeth Carr und Gerd Holzheimer ist es also diesmal wie mit der Ehe: Mit einer Hochzeit nimmt er seinen - wie auch immer gearteten - Lauf. Die Jugendstilvilla, ein 1915 vollendeter zweigeschossiger Walmdachbau mit Eingangslaube, Risalit und Altane bot dem Ereignis einen würdigen Rahmen, auch wenn es in den vertäfelten Trauungsräumen, die bis Anfang der 1990-er Jahre den Pfarrern als Bibliothek sowie Wohn- und Esszimmer dienten, doch recht eng wurde. Andererseits aber intim und familiär, was dem inhaltlichen Zweck zugutekam.

Künstlerisch ging es um die Vermählung der Dichtkunst mit der Musik, personifiziert in der Schauspielerin und Sprecherin Laura Maire sowie im Gitarristen Johannes Öllinger. Ein ungleiches Paar, wie sich herausstellen sollte. Maire fühlte sich offenbar nicht gerade wohl in der vielleicht etwas verspielten Rollenzuweisung und blieb doch recht distanziert, während sich Öllinger geradezu vergnügt ins Abenteuer stürzte - spielte, sang und rezitierte.

Das Thema bot - naturgemäß - eine enorme Auswahl an Möglichkeiten, die mit der schönsten, der Poesie der Liebe, in nostalgischer Atmosphäre den literarischen Reigen eröffnete. Mit Fernando Sors Gitarrenklängen hinterlegt, ging es mit Max Dauthendeys "Deine Schönheit ist meine Harfe" sogleich mit musikalisch-impressionistischen Metaphern ans Thema: "Du bist unendlich schön, mein Lied sei ohne Ende". Mit Rilkes "Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht" aus "Liebeslied" wurde es gar philosophisch.

Aber Weib und Gesang geht der Wein voraus, den jede Dichtkunst nicht missen möchte. So auch die Liebeslyrik. "Süßer als Wein ist deine Liebe", heißt es im Hohelied Salomos. Und die Hochzeit zu Kana klappte schließlich, weil Jesus Wasser in Wein verwandelte - dem Wunder verliehen Klänge aus Bachs Lautenpräludiums Nachdruck. In Laske-Schülers "Ein alter Tibetteppich" schwelgte die Liebe schon geerdeter: "Deine Seele, die die meine liebet, ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet". Zunehmend sorgte die Komik diverser Sitten und Gebräuche für Belustigung. Die Hochzeit vor bäuerlichem Hintergrund aus Flauberts "Madame Bovary" zeichnete ein recht nüchternes Bild dieses Ereignisses. Die Musiker hatten da keinen Schöngeist zu erwarten: "Die Fidelei verscheuchte die Vögel schon vom Weiten". Dazu zauberte Öllinger mit einem Stück des französischen Gitarristen Roland Dyens mit freitonalem Harmoniereichtum zwar keine Vogelscheuche, aber eine klangmalerische Einladung.

Die jüngere Dichtkunst und Prosa ging deutlich weniger idealisierend mit Liebe und Heirat um - dafür wahrhaftiger und aufrichtiger. Brechts "Ich will mit dem gehen, den ich liebe" knüpfte die Liebe nicht einmal an die Notwendigkeit der Erwiderung. Die bedingungslose Liebe proklamiert auch Brechts "Die Ballade von der Hanna Cash", die in der Vertonung von Hannes Wader zum großartig zweistimmigen Vortrag gelangte. Die im Feldafinger Lager für Displaced Persons 1946 geborene Lily Brett (nach Australien ausgewandert, heute in New York lebend) wünschte, die Zeit im Kusse anzuhalten. Philosophisches Sinnieren kam auch von Mayröcker und selbst von Jandl, beantwortet mit dem Song "Pretty fair maid" von Tim O'Brien.

Lustig wurde es dann mit "Ein kleiner Rat" von Mozart an seine Schwester ("Herr, es gescheh' dein Wille bei Tag, und meiner in der Nacht"), erst recht in Ganghofers Hochzeitsgeschichte im "Lebenslauf eines Optimisten", die mit einer kollektiven Darmentleerung endet - bei nur einem, zudem besetzten Häusl. Laura Doermers "Verwehte Braut" konnte dies nur noch mit Situationskomik toppen. Mit einem Satz aus Bachs Cellosuite und dem biblischen Hohelied der Liebe schlug die Eröffnung des Literarischen Herbstes dann doch noch einmal den Bogen zum Ernst des Lebens - der mit einer bescheidenen Hochzeitstafel gar nicht so schlecht wegkam.

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