Gauting:Der ewige Lausbub

Unterbrunn Pfarrhof: Hansi Kraus liest Lausbubengeschichten

Schriftsteller Gerd Holzheimer und Hansi Kraus (rechts) im Gespräch im Pfarrhof Unterbrunn.

(Foto: Nila Thiel)

Hansi Kraus liest in Unterbrunn Thoma

Von Carina Seeburg, Gauting

Auch ein Lausbub wird älter, muss vielleicht sogar erwachsen werden. Die Flegeljahre haben Lachfalten auf seinem Gesicht hinterlassen, das Haar ist grau meliert. Hansi Kraus zückt seine Lesebrille - sie ist mit 65 unerlässlich - grinst verschmitzt und beginnt gewissenhaft zu Lesen.

Kraus, einst Kinderstar der Sechzigerjahre und Inkarnation des Lausbuben aus den Geschichten des bayerischen Schriftstellers Ludwig Thoma, fesselt das Publikum mit gekonnter Erzählstimme. "Diese Geschichten von Thoma, die haben's unglaublich in sich. Die sind zum Fürchten, zum Lachen und zum Weinen oder alles gleichzeitig und das werden wir hier heute erleben" - mit diesen Worten hatte Kunstmanagerin Elisabeth Carr die Abschlussveranstaltung des "Literarischen Herbst 2017" eröffnet. Vor allem gelacht wird im historischen Pfarrhof Unterbrunn an diesem Abend ausgelassen, denn noch vor dem Lesen stand das Plaudern auf dem Programm.

"Wie bist du Lausbub geworden?", fragt Gerd Holzheimer, selbst Schriftsteller und Moderator der Veranstaltung. Das habe sein Großvater entschieden, klärt Kraus auf. Eines Tages sei er als Zwölfjähriger von ihm mit den Worten "Du wirst jetzt Schauspieler" empfangen worden. Anfang der Sechzigerjahre habe die Abendzeitung nach einem Jungen gesucht, der die Hauptrolle in Ludwig Thomas "Lausbubengeschichten" spielen sollte. Man habe ein Passbild und die Schilderung eines Streichs einschicken müssen. Das sei ihm natürlich nicht schwer gefallen, lacht Kraus und gibt den eingesandten Streich zum Besten. Bebend sitzt Kraus auf seinem Stuhl, gluckst und lacht schließlich ebenso laut wie das Publikum im Pfarrhof.

Davon angespornt setzt der gealterte Lausbub fröhlich fort, von Streichen aus Kindertagen zu berichten. Es besteht kein Zweifel: Die Rolle wurde mit ihm einst ganz richtig besetzt. Seine Eignung als Flegel sei aber nicht gleich aufgefallen. 200 Buben habe man zum Vorsprechen eingeladen. "Und dann ist der Aufnahmeleiter rumgegangen und hat gesagt: du, du, du und du - hinterlass deine Adresse!" - erzählt Hansi Kraus und fügt gleich hinzu: "Zu mir hat er nichts gesagt. Aber ich hab' geseh'n, was da los ist und hab' mir gedacht, wenn ich jetzt schon mal da bin, dann hinterlasse ich meine Adresse auch." Der Saal lacht und Kraus schließt zufrieden: "Und dann ging das so seinen Gang und dann am Ende war ich halt der Lausbub".

Nach der Verfilmung von Thomas "Lausbubengeschichten" spielte Kraus in den Schulgeschichten "Die Lümmel von der ersten Bank" mit der Rolle des Pepe Nietnagel erneut einen Bengel, der es faustdick hinter den Ohren hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielern, die eine - noch dazu so frühe - Festlegung ihrer Person auf eine bestimmte Rolle beklagen, hat Hans Krause, der seit jenen Tagen nur als Hansi Kraus bekannt ist, kein Problem damit: "Ich hab' da schon meinen Stempel. Aber mittlerweile denk' ich mir, jetzt bin ich schon so alt geworden, hab' schon so viel Anderes gemacht, ja mei, dann bin ich halt der Lausbub, oder? Der ewige Lausbub!"

"Du hast also eine Identität ohne Identitätskrise", hält Holzheimer lachend fest und leitet über zum ernsthaften Teil des Abends. In einem Gespräch entwickeln Kraus und Holzheimer ihr Verhältnis zu Ludwig Thoma, das nicht frei von Widersprüchen ist. Der Geburtstag des berühmten bayerischen Schriftstellers jährt sich in diesem Jahr zum 150. Mal und Kraus muss häufig über die "Lausbubengeschichten" und seine Haltung gegenüber Thoma reden. Denn der in frühen Jahren überwiegend linksliberale Schriftsteller und Satiriker, der in den "Lausbubengeschichten" hochnäsige preußische Autoritäten durch den Kakao zieht, verwandelte sich gegen Ende seines Lebens in einen faschistischen und antisemitischen Hetzer.

Kritisch werden die dunklen Episoden in Thomas Leben unter die Lupe genommen. Auch seine erfolgreichen "Lausbubengeschichten" bleiben davon nicht verschont. Es gäbe brutale Szenen, die an ebenso grausame Passagen von Grimms Märchen erinnerten, stellt Kraus fest. Die Diskussion, ob Gewalt in Kindergeschichten noch zeitgemäß sei, wird nicht zu Ende geführt.

Dennoch, als Kraus erneut zu Lesen ansetzt und die Zuhörer gebannt verfolgen, wie der Lausebengel seinen Religionslehrer schier auf die Palme bringt, da ist die Freude an den Geschichten Ludwig Thomas für einen Moment wieder ganz ungetrübt.

Das Publikum - überwiegend gemeinsam mit Kraus gealtert - sitzt bei Bier, Wein und Apfelschorle über die historischen Räume des Unterbrunner Pfarrhofs verteilt. Viele scheinen in die eigenen Kindertage zurückversetzt, in jene Zeit, als sie selbst noch Schelme und Missetäter waren. Verständnisvolles, begeistertes Lachen. Stilles Zuhören. Lautes Losprusten. Kraus versteht es, Geschichten zu erzählen. Kein Wunder, denn der Schalk sitzt ihm auch mit 65 Jahren noch im Nacken.

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