Gauting:Aus einer anderen Welt

Gauting: Satter Klang, feinste Nuancierungen: Daniel Chong, Ying Xue, Kee-Hyun Kim und Jessica Bodner (v. links) vom Parker Quartett beim Auftritt in Gauting.

Satter Klang, feinste Nuancierungen: Daniel Chong, Ying Xue, Kee-Hyun Kim und Jessica Bodner (v. links) vom Parker Quartett beim Auftritt in Gauting.

(Foto: Arlet Ulfers)

Das in Boston gegründete Parker Quartet und Kim Kashkashian erweisen sich bei ihrem Gastspiel im Bosco als Musiker, die absolute Präzision und höchste Einfühlsamkeit vereinen können

Von Reinhard Palmer, Gauting

Man kann sich diese Bemerkung nach dem Konzert im Gautinger Bosco und den Kommentaren von Donald Trump zum Thema Flüchtlinge und Auswanderer kaum noch verkneifen: Was wären die USA ohne Migranten? Mit dem Parker Quartet und der Quintettergänzung Kim Kashkashian an der zweiten Bratsche sind hier nämlich Erzfeinde des künftigen Präsidenten der USA auf die Bühne gegangen. Musiker mit Migrationshintergrund aus China, Südkorea und Armenien. Und das Publikum ließ sich - auch das wohl wieder ein typisch deutscher Fehler - restlos von der Präzision, Intensität und Musikalität des Ensembles begeistern.

Vor allem Dvořáks Streichquintett op. 97 erreichte symphonische Dimensionen und betörende Schönheit. Es war in den USA entstanden, wohin man den tschechischen Komponisten berief, um paradoxerweise einen amerikanischen Nationalstil zu entwickeln. Dvořák verarbeitete in seinem Quintett, das er kurz nach seiner Symphonie "Aus der neuen Welt" schrieb, die Ferieneindrücke in der tschechischen Enklave Spillville in Iowa. Geplagt von Heimweh, war er mit seiner Familie per Eisenbahn dorthin gereist. Ein glücklicher Sommer, was man auch aus der klangsinnlichen Interpretation des Ensembles deutlich heraushörte. Vor allem in den Melodien sowie den gestrichenen und gezupften Rhythmen der einzigen Nichteinwanderer der USA: der Indianer, deren Kultur Dvořák in Iowa kennenlernen durfte.

Das Parker Quartet und dessen renommierte Mentorin Kashkashian, die ihr Instrument so substanzvoll-erdig, dabei aber auch agil und wenn nötig federleicht zu spielen vermag, überzeugten in diesem Fall vor allem mit einem schlüssigen inhaltlichen Bogen. Keine leichte Aufgabe, liegen doch amerikanische Pentatonik, indianische Rhythmik, hymnische Charakteristik der Spirituals und böhmische Seelentiefe nicht unbedingt auf einer Wellenlänge. Alle vier benötigen aber jeweils eine besondere Atmosphäre, zwischen deren Ausprägungen die fünf Musiker mit Leichtigkeit changierten und das jeweilige Kolorit feinsinnig und homogen aufblühen ließen.

Zweifelsohne ist die Dichte in Substanz und Klangfarbe die Stärke des Quartetts schlechthin, wie auch die extreme Präzision, mit der jeder Ton angespielt und geformt wurde, mit der die vier Musiker aber auch den Ensembleklang austarierten. Qualitäten, die bei der Gestaltung sehr klare Charakterisierungen ermöglichen. Etwa die mitreißende Heiterkeit bei Haydn, der einst gerade in England höchste Anerkennung genoss und vom ungarischen Grafen Anton Apponyi den Auftrag für sechs Streichquartette bekam. Das op. 71/2 hat eine Menge Energie, die das Ensemble mit Verve steuerte. Umso effektvoller erklang das betörend schöne, fast schon frühromantisch anmutende Adagio, vom Parker Quartet mit höchster Einfühlsamkeit zum Singen gebracht. Effektvoll auch die Entwicklung im Final-Rondo, das mezza voce beginnt und eine Steigerung zum typischen Kehraus Haydns erfährt. Das Ensemble verstand es, mit viel Fingerspitzengefühl die Intensivierung in kaum spürbarer Fortschreitung zu entwickeln, um schließlich mit mitreißendem Witz einen packenden Schluss zu kreieren.

In Brittens Streichquartett op. 36 ging es um ganz anderen Dinge. Das einzig deutlich Verbindende blieb der satte Klang, mit dem das Parker Quartet aber weniger Harmonien und Gesänge zu exponieren, als vielmehr eine enorme Spannung aufzubauen hatte. Also auch hier wie bei Haydn und Dvořák ein symphonischer Gedanke, allerdings nun unter den Vorzeichen des 20. Jahrhunderts mit deutlichem Einfluss von Bartók. 1945 komponiert, setzte das Werk zum 250. Todestag von Henry Purcell ganz andere Maßstäbe. Der komplexen Harmonik und den sich dazwischen windenden Themen und Melodien musste schon sehr sorgsam nachgespürt werden, um die meisterhafte Klarheit und Transparenz aufrechterhalten zu können, zumal die Atmosphäre des Werkes deutlich verhangen und mehrdeutig zu bleiben hat. War die bisweilen scharf geschnittene Präzision des Ensembles bei Haydn gefährlich nah an Übersteigerung angelangt, so bot sie hier ein entschiedenes Bild. Gerade die so systemisch durchdachte Chacony im Schlusssatz bedarf eines sehr soliden Spannungsaufbaus, um die inhaltlich gruppierten 21 Variationen eines schillernd unisono vorgetragenen Themas schlüssig zu entwickeln.

Hier war die Strenge Gold wert, lud sich doch der Satz dadurch mächtig mit Energie auf, potenziert in den feinsinnig geformten, virtuosen solistischen Überleitungen. Ein Satz, der mächtig beeindruckte und dem Dvořák-Quintett im Kontrast spielfreudige Sinnenlust eröffnete. Das Programmkonzept ging mithin auf und wurde mit frenetischem Applaus belohnt. Das bezaubernde und seelentief berührende Larghetto von Dvořák musste schließlich als Zugabe wiederholt werden.

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