Filmregisseurin Sonja Maria Kröner:Wespenplage und Sticheleien

Mit "Sommerhäuser" hat die Dießenerin ein umjubeltes Kinodebüt hingelegt. Doch nun gehen erst einmal ihre Kinder vor. Für ihr nächstes Drehbuch will sie sich viel Zeit lassen.

Von Armin Greune

Familien haben ja oft etwas total Lächerliches", findet Sonja Maria Kröner. Mit ihrem Erstling "Sommerhäuser" balanciert die Dießener Filmemacherin sehr geschickt auf dem schmalen Grat zwischen Drama und Komödie: Er porträtiert drei Generationen einer Sippschaft, die nach dem Begräbnis der Urgroßmutter die großen Ferien auf einem Gartengrundstück verbringt. Der Streifen wurde von der Kritik begeistert aufgenommen: "Feinsinnig", "sehr gekonnt", "herausragendes Kinodebüt", "Beginn einer großen Karriere" hieß es in den Feuilletons der großen Zeitungen. Und auf dem Filmfest München erhielt "Sommerhäuser" den "Förderpreis Neues Deutsches Kino" in den Kategorien Regie und Produktion.

Bei so viel Lob könnte man schon befürchten, dass Kröner die Bodenhaftung verliert. Bei der Begegnung mit ihr wird jedoch rasch klar, dass diese Gefahr nicht besteht: Denn die 38-Jährige lässt keinen Zweifel aufkommen, dass sie ihrer eigenen Familie zumindest derzeit einen höheren Stellenwert als der Karriere einräumt. Dabei strahlt die Regisseurin vor allem heitere Gelassenheit aus; das Geerdetsein verdankt sie offenbar auch ihrem vier Monate alten, zweiten Sohn. Der hat seinerseits die Ruhe weg und lässt sich während des fast zweistündigen Gesprächs nicht ein Mal hören oder blicken, sondern bleibt wie eine Wärmflasche an die Mutter geschmiegt.

Auch auf der Release-Tour von "Sommerhäuser" durch die ganze Republik waren die Buben und ihr Mann in einem gemieteten Wohnmobil dabei. Nur zu den internationalen Festivals in Toronto und Thessaloniki musste Kröner allein einfliegen. Seit zweieinhalb Jahren lebt sie nun in Dießen. Zuerst wollte nur ihr Mann, dessen Wurzeln am Starnberger See liegen, aus München raus. "Aber mittlerweile finde ich's auch toll", sagt Kröner, "und Städte kommen mir immer stressiger vor".

Filmregisseurin Sonja Maria Kröner: Gruppenbild mit Ferrari Daytona: Sonja Maria Kröner (rechts) am Set mit den Schauspielern Mavie Hörbiger (2. v. r.), Thomas Loibl (3.v.r.) und Günther Maria Halmer (2. v.l.).

Gruppenbild mit Ferrari Daytona: Sonja Maria Kröner (rechts) am Set mit den Schauspielern Mavie Hörbiger (2. v. r.), Thomas Loibl (3.v.r.) und Günther Maria Halmer (2. v.l.).

(Foto: Prokino/OH)

Für sie war es ein "Riesen-Glücksfall", dass ein Location-Scout dann auch den "Sommerhäuser"-Garten ausgerechnet am Ammersee entdeckte: ein gerade ungenutztes Ufergrundstück im Herrschinger Ortsteil Lochschwab. "Vorher hatten wir in ganz Bayern gut 30 Gärten angeschaut und dabei nichts annähernd so Gutes gefunden." Notfalls wäre sie an den Hauptdrehort umgezogen, doch das war nun überflüssig: So konnte Kröner im Sommer 2016 zur Vorbereitung der Dreharbeiten gelegentlich mit dem Dampfer übersetzen, während dort Junggesellen ihren Abschied feierten. Und sie fand es "großartig, dass ich den Kleinen jeden Abend ins Bett bringen konnte".

Allerdings habe sie sich im vermeintlichen Idyll von Lochschwab "nicht nur wohl gefühlt". Auch ihre Kamerafrau Julia Daschner spürte von Anfang an dort eine latent bedrohliche Atmosphäre, wie sie in "Sommerhäuser" vom Nachbargrundstück ausgeht - das in Wirklichkeit allerdings ein Arboretum in Niederbayern ist. Tatsächlich erfuhr Kröner später, dass der Herrschinger Garten einst dem Nazi-Massenmörder Hans Frank gehört hatte, der als "Schlächter von Polen" nach den Nürnberger Prozessen hingerichtet wurde.

Drei Monate hielt sich das Team in Lochschwab auf, sechs Wochen dauerte der eigentliche Dreh. Beim Casting kam dem Ensemblefilm zu Gute, dass die Aufnahmen in die Theaterferien fielen. Zudem sei das Drehbuch, für das Tschechows Sittengemälde Vorbild waren, bei den meisten Bühnendarstellern sehr positiv aufgenommen worden. Für Kröner habe sich so "in fast allen Fällen der erste Besetzungswunsch erfüllt". In "Sommerhäuser" treffen vage Bedrohungen von außen auf zunächst unterschwellige Aggressionen zwischen den Verwandten. Wortwitz und subtile Komik lockern die Familiengeschichte auf, vordergründig passiert bloß Unspektakuläres: Kinderspiele und Kaffeekränzchen, Wespenplage und Sticheleien, Streit um ein Baumhaus. Dennoch bliebt dieses Kammerspiel im Grünen stets spannend, obwohl der Kindermörder nur durch die Fantasie der Protagonisten geistert. Auch eine ebenso ungewöhnliche wie unglückliche Liebesgeschichte wird allenfalls zart angedeutet. Und selbst die Folgen des finalen dramatischen Höhepunkts bleiben offen. "Ich liebe einfach Filme mit einem Rätsel", sagt Kröner. Ihr gefällt, dass die Handlung von "Sommerhäuser" je nach Alter der Zuschauer ganz unterschiedlich ausgelegt werde und "jeder seinen eigenen Film gesehen hat".

Regisseurin Sonja Kröner

Inzwischen ist Kröners zweiter Sohn zur Welt gekommen, der auch beim Gespräch in Dießen ganz nah bei ihr blieb.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Dabei wirkt diese Momentaufnahme aus dem Jahrhundertsommer 1976 bis ins kleinste Ausstattungsdetail authentisch. Die von Daschner souverän geführte Kamera nimmt oft die Perspektive der Kinder ein. Die Tonspur verzichtet im Stil der Dogma-Schule völlig auf eingespielte Musik und konzentriert sich ganz auf die Gartengeräusche, so wird eine geradezu hyperrealistische Atmosphäre geschaffen. Auch die Dialoge passen haargenau in den zeitlichen Kontext, obwohl Kröner die 1970er nicht selbst miterlebt hat. Diese Dekade wählte sie für "Sommerhäuser" aus, "weil die Individualisierung damals erst am Anfang stand. In den 1980ern sind dann die Familienbande aufgebrochen." Trotzdem konnte sie noch viele eigene Erfahrungen in den Film einbringen, wie etwa die von den Erwachsenen noch weitgehend unkontrollierte Lebenswelt der Kinder. "Auch der Garten ist autobiografisch", Kröner wuchs am südlichen Stadtrand Münchens auf.

Dem Skript und den pointierten, sehr lebensnahen Dialogen merkt man die Ausdauer und Sorgfalt an, mit der die Autorin daran gefeilt hat. Erste Ideen dazu hatte sie bereits 2009 notiert: "Ich kann ein Drehbuch nicht in einem Jahr weghauen, ich lasse es gern auch mal ein paar Monate liegen, um mich in die Trägheit eines Zuschauers zu versetzen", sagt Kröner. Sie sei eben ein eher langsamer Mensch. Das ist auch an ihrer Karriereleiter abzulesen. Nach einem abgebrochenen Philosophie- und Literaturstudium wurde sie im zweiten Anlauf an der Hochschule für Film und Fernsehen München angenommen. 2004 und 2006 produzierte sie dort zwei Kurzfilme; bis 2012 ihr Abschlussfilm "Zucchiniblüten" fertig war, kam ihr das Leben dazwischen und der erste Sohn zur Welt. Nebenher entwickelte und produzierte Kröner die Videoinstallation "Six Doors", die 2009 bei der Großen Kunstausstellung in München zu sehen war. Dabei lernte sie Julia Daschner kennen, die dann bereits bei "Zucchiniblüten" die Kamera führte.

Auf die Frage nach ihrem nächsten Projekt antwortet Kröner, dass ihr zwei Stoffe vorschweben. Für beide habe sie aber gerade erst begonnen, Ideen zu notieren. Gut möglich, dass Kröner diesmal sogar noch mehr als fünf Jahre ihres Lebens benötigt, um wieder einen Spielfilm zu präsentieren. In der Ruhe liegt ihre Kraft - das hat sie mit "Sommerhäuser" eindringlich bewiesen.

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