Film:Fröhliches Morden

Szene aus ´Happy Happy`

Den großen Katastrophen ausgeliefert: eine Szene aus Mathis Nitschkes zweiter Oper "Happy Happy".

(Foto: Julia Hildebrand und Ingolf Hatz)

Das Starnberger Kino zeigt nächste Woche die zweite Oper des in Feldafing aufgewachsenen Komponisten Mathis Nitschke als Film. "Happy Happy" dreht sich um Profitgier und Ohnmacht

Von Gerhard Summer, Starnberg

Bläser setzen sachte ein, dazu zischt ein Ton in die Höhe, als ob gleich Wasser kocht. Auf der Bühne kniet eine junge Frau. Sie singt davon, dass sie die blaue Blume sucht und doch nie findet. Bald hängt der Himmel voller rosafarbener Röhren, ein merkwürdiges dreieckiges Geflecht. Und die Choristen treten auf, wie die Solistin ganz in Schwarz, mit weißen Fähnchen in den Händen. Sie skandieren "Happy, Happy" zu einem gewaltigen spätromantischen Groove.

Ja, das rockt. Aber ganz so fröhlich geht es in der gleichnamigen Oper des jungen Komponisten Mathis Nitschke nicht zu. Denn in seinem zweiten großen Wurf für die Oper in Montpellier verhandelt der Münchner, der in Feldafing aufgewachsen ist, das "Effizienzgebaren unserer Gesellschaft in Verbindung mit der politisch verordneten Gedankenlosigkeit". Es geht um das Gefühl der Ohnmacht. Denn der Einzelne ist angesichts der Katastrophen im 21. Jahrhundert, seien es Finanzcrashs, dahinsiechende Sozialsysteme oder der Klimawandel, mehr oder minder zur Tatenlosigkeit verurteilt, so der 42-Jährige. "Happy Happy" ist mithin so etwas wie die Fortsetzung von Nitschkes Oper "Jetzt", die bereits im Januar als Film in Starnberg zu sehen war. Nächste Woche zeigt das Kino Breitwand den zweiten Streich.

Nitschke arbeitet auch in "Happy Happy" mit den Mitteln der Collage und Elektronik. Er setzt Mikrofone ein, um Kammerorchester und Blechbläser auszubalancieren, und ist mehr noch DJ als neu erfindender Tonsetzer. Im Libretto spannt er Texte und Zitate von Cicero bis Henry Ford zusammen, von Joseph von Eichendorff bis Michel Houellebecq und von Rainer Maria Rilke bis Thomas Gray, Jean Giraudoux und Percy Shelley. Und weil der Regisseur, Bühnenbildner und Lichtdesigner Urs Schönebaum wieder mit von der Partie ist und wunderschöne, abenteuerlich schräge, absurde und einprägsame Bilder beisteuert, wirkt diese Mixtur, dieser laut Nitschke "hektisch musik-theatralische Liederabend" in 15 Nummern, wie aus einem Guss. Die Schlüsselszene, eine Art Tribunal, erinnert an den fiesen Science-Fiction-Klassiker "Die Insel" von 2005 mit Ewan McGregor und Scarlett Johansson. Denn auch in "Happy Happy" geht es darum, dass der Mensch, noch bevor sein natürliches Ende gekommen ist, den Abgang machen soll, um seine "einwandfreien Rohstoffe" freizugeben. "Ich will nicht sterben", singt die Sopranistin Karen Vourc'h bei der Uraufführung im November 2014 in der Opera National Montpellier. "Ich bin kein Acker, der Ertrag bringt. Ich bin Mensch. . ." Der Chor antwortet: "Red keinen Quatsch, wir machen nur unseren Job". Und: "Es gibt keine Alternative."

Gesellschaftskritische Oper, die an die Zeiten von Verdi, Puccini oder Luigi Nono anknüpft, kann das noch funktionieren? In diesem Fall ist das ja schon interessant: Eine Kunstform, die absolut am Tropf hängt, schwingt sich vom Krankenbett aus zum Feldzug gegen die unmenschliche Effizienz auf und zur Anklage gegen eine Welt, in der nur Profit zählt. Nitschke sagt: Wenn er sich etwas wünschen dürfte, dann auf jeden Fall, dass die Oper, die sich selbst ins Aus geschossen habe, wieder den alten Stellenwert bekommt. Momentan sieht es nicht danach aus. Der Opernbetrieb heute kennt fast nur noch die Retrospektive; die Klassiker werden durchgenudelt und "aborganisiert", wie es Nitschke formuliert. Uraufführungen sind die Ausnahme, und wenn doch einmal ein zeitgenössisches Werk zur Aufführung kommt, tut sich das Publikum oft schwer damit. Manchmal auch zu Recht. Was laut Mathis Nitschke unter anderem daran liegt, dass viele Komponisten "für den Graben, nicht für die Bühne" schreiben. Er sagt: "Oper ist dreckig, da braucht man Bühnenschweine."

Die Oper "Happy Happy" ist am Dienstag, 19. April, 19.30 Uhr, als Film im Starnberger Breitwand-Kino zu sehen.

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