Feldafing:Heiliger Bimbam

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Musikalische Metamorphosen: Das Lisa-Wahlandt-Quartett beim Auftritt im Feldafinger Bürgersaal. (Foto: Georgine Treybal)

Lisa Wahlandt und ihre Musiker ziehen in Feldafing mit Christmas-Songs alle Register ihres Könnens

Von Berthold Schindler, Feldafing

Adventsläuten vor einem Jazzkonzert? Ein kleiner Gag, wie Bernhard Sontheim, erster Vorsitzender von Jazz am See, launig aufklärt. Man wolle darauf hinweisen, dass das letzte Jazzkonzert des Kalenderjahres ein weihnachtliches sei. Das wurde aber auch ohne Glocken bald klar: Das Lisa-Wahlandt-Quartett - das sind neben der Sängerin der Gitarrist Azhar Kamal, der Pianist Jan Eschke und Sven Feller am Bass - präsentierte im vollbesetzten Bürgersaal des Feldafinger Rathauses eine bunte Mischung an Christmas-Songs. Wo es lang geht, zeigte die Combo gleich im ersten Stück. "Santa Claus Is Coming to Town" kennt man. "Santa Claus Is Coming to Town" im Bossa-Nova-Style hingegen eher nicht.

Grenzenlos ist die Kreativität, mit der Wahlandt die so bekannten Lieder in ganz neue Klanggewänder steckt, sodass man gerade noch Text und Melodie erkennt, aber angesichts frischer Rhythmen und ungewohnter stilistischer Anpassungen bisweilen zweimal hinhören muss: Es ist, als würde der alte Spezl aus Kindertagen seinen jährlichen Besuch abstatten - nur hat er statt Rollkragenpullover, Cordhose und Budapestern plötzlich Sportsakko, abgetragene Blue Jeans und Chucks an. Die neuen Klamotten pasen freilich ausgezeichnet, zumal die vier Musiker sich von ihrer besten Seite zeigen. Da ist Wahlandt selbst, die traumwandlerisch sicher von einem Gesangsstil zum nächsten wechselt, ohne ihre ansteckende Lässigkeit zu verlieren. Gerade noch hauchte sie in bester Jazzgesangmanier Joni Mitchells "River" mit viel Emotion ins Mikrofon, doch in "Morgen, Kinder, wird's was geben" klingt sie poppig.

In ihrer flockigen Moderation erzählt Wahlandt, wie sie eine Doppel-LP aus ihrer Kindheit ausgegraben habe, auf der einige der Lieder des Abends von verschiedenen Granden des deutschen Schlagergesangs drauf sind: Roy Black, Freddy Quinn, Peter Alexander, Karel Gott sind vertreten, und eben auch "Morgen, Kinder", interpretiert von der Norwegerin Wencke Myhre. Entstanden ist allerdings kein Myhre-Remake - Wahlandt verwandelt das Stück in eine fetzige Samba-Nummer. Die allerdings hinkt, denn sie wählt statt des für Samba und Merengue gebräuchlichen 2/4-Takts einen ungewöhnlichen 7/8-Rhythmus. Was bewirkt, dass man beim Zuhören stolpert, gleichsam gezwungen wird, diese scheinbar altbekannte Melodie noch mal neu zu entdecken. "Little Drummer Boy" läuft ähnlich ab. Spätestens beim "pa rum pum pum pum" kann jeder mitsingen, nicht so in diesem Konzert: Mit dirty intonation zu beinahe vulgärem Westerngitarrensound verortet sie den "kleinen Trommler" weg von Bing Crosbys "White-Christmas"-Idylle Richtung amerikanischer Hillbilly-Süden. Sie lotet die Grenzen des Offbeats aus, murmelt später nur noch ins Mikro, entführt so den alten US-Hit in eine andere Welt, in die er scheinbar nicht gehört. Und "pa rum pum pum pum" mitzusingen, wäre ein aussichtsloses Unterfangen angesichts der Enjambements und Pausen, die sie mühelos einflicht, als wäre das Stück einst so geschrieben worden.

Was den Offbeat betrifft, gibt es nur drei Menschen im Saal, die sie mit ihren rhythmischen Ausbüchsversuchen nicht mehr überraschen kann: Kamal, Eschke und Faller fangen sie überall auf, warten, verzögern, spielen noch einen Loop und beschleunigen, wie man es nur kann, wenn man sich so gut kennt, dass man den nächsten Zug des anderen gleichsam schon vorauseilend mitfühlen kann. Wahlandt kann Marlene Dietrich: Die Dietrich, die über sich selber einst halbernst sagte, sie könne nicht singen, hätte an der Niederbayerin ihre Freude gehabt, wie diese ein legeres Chansonparlando hinlegt, als wäre sie selbst in Weimars Goldenen Zwanzigern von einem Varieté zum nächsten getingelt.

Wahlandt kann auch Norah Jones, also Jazz-Pop-Mischgesang - zeigen tut sie das freilich in einem Stück, das die Künstlerin aus Brooklyn nicht im Repertoire hat, nämlich in der Weise "Still, still, still". Und wenn man das Scatten als gesungene Widerspiegelung der eigenen Persönlichkeit wertet, dann ist Wahlandt vor allem eins: tief entspannt. Vollendet wurde dieses Konzerterlebnis von der grandiosen Musikalität und Fingerfertigkeit der Instrumentalisten, deren Soli zurecht mit enthusiastischem Applaus bedacht wurden.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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