Feldafing:Die Vermittlerin

Feldafing: Deutschland ist vielen Flüchtlingen fremd. Aber auch deutsche Chefs tun sich schwer, andere Kulturen zu verstehen. Andrea von Gleichenstein vermittelt.

Deutschland ist vielen Flüchtlingen fremd. Aber auch deutsche Chefs tun sich schwer, andere Kulturen zu verstehen. Andrea von Gleichenstein vermittelt.

(Foto: Arlet Ulfers)

Andrea von Gleichenstein erklärt Flüchtlingen, wie die Deutschen ticken - und schult bundesweit Ausbilder

Von Carolin Fries, Feldafing

Es ist noch gar nicht lange her, da hat Andrea von Gleichenstein Managern aus aller Welt erklärt, wie die Deutschen ticken. Die 50-Jährige aus Feldafing kommt aus der Entwicklungshilfe, hat lange in Indien gelebt und weiß: "Grundlage für ein Miteinander ist es, die Sicht des Anderen zu verstehen." Vieles, was für einen Deutschen normal ist, steht nirgends geschrieben, lässt sich manchmal kaum erklären, ist eine "unsichtbare Regel", wie von Gleichenstein sagt. Seitdem in den vergangenen Jahren immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, spricht Andrea von Gleichenstein nicht nur vor Managern, sondern vor allem mit jungen Männern aus aller Welt - sowie deutschen Ausbildern und Personalverantwortlichen. Sie wirbt bundesweit im Auftrag großer Konzerne wie BMW oder der Industrie- und Handelskammer um gegenseitiges Verständnis. Wenn jemand eine Ahnung hat, wie Integration funktioniert, dann sie.

In Jeans und T-Shirt steht die Feldafingerin in ihrem Wintergarten vor einer Reihe von Flipcharts, ihrem Werkzeug. Sie spricht gerne von Wissenslücken, wenn es um Probleme im Umgang mit Menschen aus verschiedenen Kulturen geht. "Kultur ist unbewusst", sagt sie "niemand hält bewusst dreißig Zentimeter Abstand zum Gesprächspartner" - spürt aber sofort, wenn es zu nah wird. "Es geht um unsere Grundwerte, die wir den geflüchteten Menschen vermitteln müssen. Wenn sie sie nicht kennen, können wir sie auch nicht bestrafen, sie nicht beachtet zu haben." Viel mehr sogar: Neben einer gemeinsamen Sprache ist das Verstehen und Respektieren der fremden Kultur die Grundlage für ein friedliches Miteinander.

Bislang wird in Deutschland vor allem in den Spracherwerb der Migranten investiert - immer mehr Firmen schicken ihre Mitarbeiter inzwischen aber auch auf Kurse, um Kulturunterschiede bewusst zu machen, wie sie Andrea von Gleichensteins Firma TDC anbietet. Viele der Teilnehmer sagen der Dozentin danach, dass sie ihnen die Augen geöffnet habe. Sie sagt ihnen, dass Menschen aus stark patriarchalisch geprägte Kulturen nicht gerne auswählen, sich ungern entscheiden und deshalb bei der Hand genommen werden müssen. Fragen ist nicht vorgesehen. "Das ist kein Desinteresse", klärt von Gleichenstein auf. Auch das Wort "beraten" wird von vielen Kulturen nicht verstanden, impliziert es doch die Freiheit der Entscheidung. Während die Deutschen identitätsbezogen leben, leben die Menschen in Syrien, Afghanistan und Afrika gruppenorientiert. Für sie ist es selbstverständlich, flexibel und teamfähig zu sein, was viele Deutsche erst lernen müssen. Die zwischenmenschliche Beziehung steht im Vordergrund, weshalb sie es persönlich nehmen, wenn der Zug pünktlich abfährt, obwohl der Schaffner gesehen haben muss, dass noch jemand mitfahren will. "Der Chef muss nett sein" - das hört Andrea von Gleichenstein sehr oft als ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Arbeitsplatzes.

Sie schult auch die Flüchtlinge, die ihrerseits über die Deutschen staunen, die durchgetaktet durch ihr Leben hetzen, das einem strikten Plan folgt. "Das alleine verstört viele schon. Dass dieser Plan nicht verändert wird, umso mehr." Die Feldafingerin hat genau zugehört und auf Flipcharts alles aufgeschrieben, was Migranten an den Deutschen auffällt. Dass sie ihre Tiere zum Spazieren mitbringen, dass Fehler erlaubt sind, dass es einen Briefkasten an jedem Haus gibt und eine große Angst vor dem Alter. Sie fragt sie manchmal zur Auflockerung nach bayerischen Wörtern und so witzig diese dann auch sprudeln: Die Furcht vor dem Dialekt ist groß. Und die Wissenslücken sind enorm. Steuersystem - noch nie gehört. Und warum in Bus und Bahn schweigen - es gibt doch nichts zu verbergen.

Den Impuls des Entgegenkommens beobachtet Andrea von Gleichenstein immer wieder. So meint der Firmenchef, alles richtig zu machen, wenn er aus Rücksicht auf Andersgläubige das Weihnachtsfest in ein Jahresendfest umtauft, es in der Kantine kein Schweinefleisch mehr gibt und das ständige Zuspätkommen des Azubis nachsieht. "Total falsch", wie von Gleichenstein sagt. Gelungene Integration ist, wenn der eine Weihnachten feiert und der andere das Zuckerfest, wenn Gerichte mit Schweinefleisch in der Kantine gekennzeichnet sind. Wichtig wären einheitliche Regelungen. "Deutschland spricht nicht mit einer Stimme": Diesen Satz hört Andrea von Gleichenstein häufig von den Flüchtlingen. Wenn in Bayern anderes gilt als in Baden-Württemberg, sei das kaum zu vermitteln.

Auch Jobcenter hat Andrea von Gleichenstein schon beraten, ist es doch meist schwierig für die Mitarbeiter, den Bildungshintergrund der Flüchtlinge zu verstehen. "Sie haben alle studiert", sagt Andrea von Gleichenstein mit einem Lächeln, "und das ist gar nicht gelogen." Bloß muss man wissen, dass das technische Diplom eines Syrers etwa mit einem deutschen Mittelschulabschluss gleichzusetzen ist, und es in Eritrea gar keine Universitäten gibt. Vermitteln will Andrea von Gleichenstein außerdem, wie es gelingen kann, junge Menschen für eine Ausbildung zu motivieren, wo diesen meist nur das schnelle Geld wichtig erscheint. "Alles eine Frage der Perspektive", wie von Gleichenstein betont.

Sie ist überzeugt, dass der Integrationsprozess gelingen kann, betont aber dass es dafür einen bundesweit einheitlichen Rahmen braucht. Ein Einwanderungsgesetz wäre wichtig. Und die Anreizsysteme sollte man ihrer Meinung nochmals überdenken, wenn es um die berufliche Integration geht.

"Wenn das Nichtstun lukrativer ist, als sich durch eine Ausbildung zu kämpfen, dann werden wir den Anteil der Flüchtlinge, die es zur Fachkraft schaffen könnten auf dem Weg dorthin verlieren", sagt sie. Grundsätzlich wünscht sie sich vor allem aber mehr interkulturelles Wissen bei jenen, die in der Flüchtlingspolitik Entscheidungen treffen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: