Fahrräder statt Autos:Die Radler-Lobby

Starnberg Weßling, Mobilitätswende Verein

Für ihre Konsequenz und ihre teils ungewöhnlichen Ideen bewundert: Die Weßlinger Gerhard Sailer (li.) und Gerhard Hippmann.

(Foto: Georgine Treybal)

Aus einer kleinen Gruppe entwickelt sich eine beharrliche Interessenvertretung, die erste Erfolge für sich verbuchen kann. Ein besseres Wegenetz ist ein wichtiges Ziel von Gerhard Sailer, Gerhard Hippmann und ihren unermüdlichen Mitstreitern

Von Christiane Bracht, Weßling

Sie träumen von Gleichberechtigung. Von der Abschaffung des Straßenbauamts, das "nur für Autos plant", und davon, dass Straßen wieder Orte der Begegnung werden, so wie es früher einmal war. Eine schöne Vorstellung - irgendwie entspannt. Doch in einem Landkreis, in dem bald mehr Kraftfahrzeuge zugelassen sind, als Menschen leben, ist dies wohl eher eine Utopie. Manch einer wird die Idee sogar als Spinnerei abtun. Doch davon lässt sich eine kleine Gruppe Weßlinger nicht beirren. Sie wissen, wer keine Visionen hat, verändert auch nichts. In den vergangenen fünf Jahren haben diese Weßlinger, darunter Gerhard Sailer, Professor Horst-Günter Heuck, Astrid Kahle und Gerhard Hippmann, erstaunlich viel bewegt.

Das Straßenbauamt gibt es zwar noch immer, aber wer heute plant, kann nicht mehr nur an Autos denken. Es gibt immer mehr Radler im Landkreis Starnberg, die lautstark einfordern, dass man auch ihnen gerecht werden müsse: Radwege, Beleuchtung, Hinweisschilder und auch Fahrradständer - keine zum Speichenbrechen, wie man sie früher hatte, sondern solche, an denen die teuren Räder sicher eingesperrt werden können. Die kleine Gruppe Weßlinger hat die Radler im Landkreis zusammengeführt. Durch ihre Initiative haben sie sich neu organisiert, teils im Verkehrsclub, teils im Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). Sie haben Ortsverbände wiederbelebt oder gar neu gegründet - wie in Herrsching, Gauting, Gilching und Starnberg. Gemeinsam sind sie stark geworden und erheben nun immer wieder ihre Stimme. Anders als früher können die Behörden sie jetzt nicht mehr so ohne weiteres ignorieren.

Angefangen hat alles vor etwa sechs Jahren mit der Umgehungsstraße in Weßling. Gerhard Sailer, einer der Aktivisten der ersten Stunde und damals Ortsvorsitzender des Bundes Naturschutz, war entschieden gegen das Projekt. Doch ihm wurde schnell klar: "Eigentlich bringt es nichts, nur gegen die Straße zu sein. Man muss die Leute auf die Idee bringen, dass es auch etwas anderes gibt als Autos." Und so wurde der Verkehr sein Thema - genau genommen die Mobilitätswende. In Professor Heuck, der seinerzeit im Gemeinderat Umweltreferent war, fand er einen Verbündeten. Gemeinsam präsentierten sie am Tag zum Verkehr E-Bikes, Pedelecs und E-Autos, organisierten Vorträge und initiierten 2011 das erste Stadtradeln in Weßling - gegen den Willen vieler Gemeinderäte. Dies sei "Ökoterrorismus", schimpften die Gegner. Doch Sailer und Heuck waren sehr erfolgreich. Es gelang ihnen, viele Vereine, Schulen und Firmen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zum Kilometerzählen zu animieren. Und so gewannen sie mehrfach Preise. Inzwischen stehen Bürgermeister und Gemeinderat voll hinter den Initiatoren des Stadtradelns.

Gleich beim ersten Mal richteten Sailer, Heuck und die übrigen Aktiven einen Stammtisch ein, der sich bis heute einmal im Monat trifft. Dort tauscht man sich aus, entwickelt Ideen, wie man den Radverkehr fördern kann. Es kommen nicht nur Weßlinger zum Stammtisch, sondern gelegentlich auch Auswärtige, die für Tipps dankbar sind. So haben die Weßlinger Radler die Aktion für den gesamten Landkreis initiiert und später auch Gleichgesinnte aus den Nachbarlandkreisen Landsberg, Fürstenfeldbruck und München beraten, wie man das Stadtradeln dort anpacken kann. Sogar aus Niedersachsen kamen Interessierte, um sich Tipps zu holen.

Am Stammtisch wurde auch die Homepage für das landkreisweite Stadtradeln erdacht und entworfen. Gerhard Hippmann kümmert sich jede Nacht nach der Arbeit darum, sobald seine Familie ins Bett gegangen ist. Er fertigte die ersten Organigramme und Grafiken - nun sind sie zum Standard geworden - bundesweit. Und er begann, einen Newsletter zu schreiben, indem alles drinsteht, was Radfahrer interessieren könnte. 450 Personen sind inzwischen in seinem Verteiler.

Auch wenn das Stadtradeln nicht jedes Jahr gleich viele Freunde findet und gelegentlich auch das Wetter so ist, dass sich nur Hartgesottene in den Sattel schwingen, so hat es den Radfahrern doch weitergeholfen: Vor drei Jahren begann die Entwicklung des Alltagsradroutennetzes. In diesem Herbst soll es vom Kreistag beschlossen werden. "Das Problem ist einfach: Das Radverkehrsnetz ist nicht durchgängig. Man muss vielerorts erst zu den Radwegen hinkommen", weiß Sailer. Nicht selten enden diese an der Gemeindegrenze. In einer Arbeitsgruppe mit Vertretern des Landratsamts und der Gemeinden konnten Radler ihre Kritik anbringen und auf Verbesserungen hinweisen. "Ohne Stadtradeln wäre das nicht möglich gewesen", sagt Hippmann. Doch beide bedauern, dass es die Arbeitsgruppe nicht mehr gibt, seit der Landkreis sein Zertifikat als radfreundlich bekommen hat. "Seither fehlt uns der Kontakt zur Verwaltung", klagen die Radler.

In Weßling selbst haben Sailer, Hippmann und Co ebenfalls einiges erreicht: Der Radweg an der Umgehung ist gebaut, die Verbindung von Weßling nach Gilching beleuchtet und die Route zum Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum neu asphaltiert. Dort waren so tiefe Löcher, dass man leicht stürzen konnte. Neu ist auch eine Reparaturstation für Räder am Bahnhof.

Wenn Sailer und Hippmann so aufzählen, was sie alles in Bewegung gesetzt haben in den vergangenen fünf bis sechs Jahren, dann sind sie schon stolz auf das Erreichte. Aber manchmal geht es ihnen einfach viel zu langsam, geben sie zu. Besonders wenn sie sehen, wie gefährlich das Straßenbauamt den Radweg an der Umgehungsstraße angelegt hat. Erst geht es sehr steil hinab zu einer Unterführung, man muss sogar stark abbremsen, denn kurz vorher kommt eine sehr enge, schmale Kurve, den Gegenverkehr sieht man erst im letzten Moment - ausweichen ist schwierig. Der Weg hinauf ist wieder steil und anstrengend, weil man keinen Schwung mehr hat. "Man kann auf schwere Unfälle und Stürze warten", prophezeien Sailer und Hippmann.

Auch Baustellen seien im Fünfseenland nur für Autos eingerichtet, klagt Sailer. Für Radler gebe es keine Umleitung, sondern nur ein schnödes Schild: "Absteigen". Zuletzt war das in Gauting so. Auf Anfrage hieß es aus dem Landratsamt: Das müsse man nicht machen. Sehr enttäuschend finden das die Radaktiven vor allem, wenn sie daran denken, dass der Landkreis sich fahrradfreundlich nennt.

Manchmal würde er am liebsten alles hinschmeißen, gesteht Sailer. Doch dann macht er doch weiter. "Durch mein Verhalten kann ich etwas ändern und wenn die Masse das tut, wird sich wirklich etwas ändern", sagt er. "Mobilität ist das einfachste. Da kann jeder mitmachen. Beim Strom ist man von anderen abhängig, ebenso wie bei der Wärmedämmung." Außerdem will er Weßling auf diese Weise lebenswerter machen. "Es ist eine Genugtuung, wenn man keinen Lärm macht und niemanden belästigt, wenn man zum Beispiel abends an einem Wohngebiet vorbeiradelt." Hippmann pflichtet ihm bei: "Es ist eine Investition in die Zukunft."

Beide fahren fast überallhin mit dem Rad, auch wenn es noch so weit ist. Wenn nötig, nutzen sie öffentliche Verkehrsmittel. Dass die Buslinien im Landkreis inzwischen im Stundentakt fahren, begrüßen die beiden sehr. Um die Mobilitätswende hinzubekommen, müsste man "den Komplettservice für Autofahrer abschaffen", fordert Sailer. Er ist überzeugt davon, dass die Busse nicht genutzt werden, solange es genügend kostenlose Parkplätze am Bahnhof in Weßling gibt. Man müsse einen Anreiz schaffen, damit die Leute lieber zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren oder eben mit dem Bus kommen. Diese Idee trifft natürlich nicht überall auf Begeisterung - vor allem nicht bei den Behörden, aber Sailer und Hippmann geben nicht auf. "Man darf nicht missionarisch sein", weiß Sailer.

Wichtig sei es, dass man seine Einstellung vorlebt. Nur so könne man andere überzeugen. Die Frage sei schließlich: Was kann ich für andere tun? Ein Gedanke, der sich seiner Ansicht nach unbedingt durchsetzen sollte. Für ihre Konsequenz und ihre teils ungewöhnlichen Ideen ernten Sailer und Hippmann bei Bekannten und Freunden oft Bewunderung. Offen belächelt habe sie noch niemand, sagen beide. Hippmann kann es sich trotzdem nicht verkneifen, seine Botschaft gut sichtbar herumzufahren. An seinem schwarzen Tourenrad hängt der Aufkleber: "Ein Auto weniger."

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