Erinnerung an die Nazi-Gräuel:Kaum Ahnung

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Eine Wäscheleine als Sinnbild für das Schicksal von Sinti und Roma: Die Gedenkfeier im Wörthseer Jugendhaus war gut besucht. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Holocaust-Gedenkstunde in Wörthsee zeigt, wie wenig über Sinti und Roma bekannt ist

Von Christine Setzwein, Wörthsee

"Woran denkst du beim Wort Zigeuner?" An Wohnwagen, dunkelhäutige Menschen, Lagerfeuer, Zigeunerschnitzel, aber auch an Schimpfwort, Diskriminierung und Beleidigung. Ja, und auch an Sinti und Roma. Mit einer von ihnen produzierten Umfrage eröffnen die Jugendlichen im Jugendhaus Wörthsee am Samstag ihre Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus. Einen "Zigeuner" heiraten? Eher nicht. Wer sind Sinti und Roma? Zwei Stämme, keine Ahnung. Wie viele wurden unter der Nazi-Herrschaft ermordet? Mehrere tausend, eine Million, weiß ich nicht.

"Hängt die Wäsche ab, die Zigeuner kommen" lautete der provokante Titel der Gedenkstunde, die mittlerweile zum zehnten Mal in Wörthsee stattfand, davon zum fünften Mal im Jugendhaus. Angesichts von "Holocaust-Leugnern im Bundestag" sei es wichtig, die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis aufrecht zu erhalten, sagte Beate Schnorfeil, die Vorsitzende des Jugendhaus-Trägervereins. Im Gegensatz zu den jüdischen Opfern seien die Verbrechen an den Sinti und Roma nach dem Zweiten Weltkrieg kaum beachtet worden, die Entschädigung von Überlebenden nur unzureichend gewesen. Gut 60 Besucher sind gekommen, unter ihnen Bürgermeisterin Christel Muggenthal sowie Gemeinderäte von SPD, Grünen und Freien Wählern.

Emma Steiger, Valentin Pfefferkorn, Kathi und Korbi Tyroller, Nico Hradecky, Johannes Wittenberger, Sarah Müller, Vaness Erling und Yanik Mey lesen, was sie zu Sinti und Roma recherchiert haben. Sie geben einen historischen Überblick über Herkunft, Verfolgung und Ermordung der Volksgruppe, berichten über ihren Widerstand im KZ Auschwitz, über die Sinti-Kinder von Mulfingen, die nach Auschwitz deportiert und für medizinische Experimente missbraucht wurden. 500 000 Sinti und Roma fielen dem Genozid zum Opfer. Auch nach 1945 wurden die Überlebenden in Deutschland "in die Verelendigung getrieben", um ihre Entschädigung betrogen und blieben bis vor zehn Jahren staatenlos. Viele der Täter konnten in Behörden oder in der Wirtschaft ungehindert Karriere machen.

Die Gedenkstunde endet mit Interviews und den richtigen Antworten auf die eingangs gestellten Fragen über Herkunft, Verfolgung und Schicksal der Sinti und Roma. Auf der Leine quer durch den Jugendhausraum, auf der anfangs Wäsche hing, hängen nun 31 Blätter mit Texten und Fotos. Die Leine wird an diesem Montag im Rathaus an der Treppe zum Obergeschoss angebracht. Auch in Wörthsee leben Sinti und Roma, denen Schlimmes widerfahren ist. Aber das wissen nur noch die wenigsten.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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