Enkeltrick:Professionelle Abzocker

Die Polizei warnt vor einer neuen Welle von Anrufern, die mit dem Enkeltrick und anderen Betrügereien möglichst viel Geld abkassieren wollen. Inzwischen sind auch schon Bankmitarbeiter sensibilisiert

Von Christian Deussing, Starnberg

"Rate mal, wer dran ist?" Die Stimme der Anruferin klingt seriös, angenehm und einschmeichelnd. Sie entlockt ihrer Gesprächspartnerin mit der Fangfrage zunächst den Namen des Enkels oder der Nichte - ein paar Sekunden am Telefon können darüber entscheiden, ob die Seniorin aus Söcking in die fiese Falle tappt oder nicht. Angerufen hat nämlich eine Betrügerin, die mit der Enkeltrick-Masche abzocken will, polizeiintern "Keilerin" genannt. Die "Keilerin" oder der "Keiler" ist das Hirn der professionellen Bande und agiert flexibel, geschickt und gemein. Es geht darum, hohe Geldbeträge oder Schmuck zu erschwindeln. Der Ganove sitzt meist im Ausland und täuscht der Oma oder dem Opa eine finanzielle Notsituation vor. Die Varianten und Legenden seien "vielfältig und raffiniert", sagt Lothar Micheler, Betrugsexperte bei der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck. Er warnt vor einer "neuen Welle" von Enkeltrick-Anrufern, die derzeit auch immer häufiger in der Starnberger Region zuschlagen.

Zuvor haben die Täter in der Regel Telefonbücher im Internet durchforstet, um altklingende Vornamen zu finden, erläutert Micheler die Strategie der Trickbetrüger. Sollte das gezielt ausgewählte Opfer auf den Zug springen, tritt der Logistiker in Aktion, der sich nach Erkenntnissen der Kripo unweit des telefonischen Anbahners aufhält. Der Komplize dirigiert jetzt das Abholerteam, das sich bereits in der Wohngegend der angerufenen Person befindet. Die Masche in diesen Tagen verläuft prinzipiell so: Ein Bote gibt sich als Mitarbeiter eines Notars aus, der wegen eines Immobiliengeschäfts vom "Enkel noch dringend 30 000 bis 60 000 Euro" benötige. Die Senioren werden häufig aufgefordert, den erforderlichen Geldbetrag möglichst schnell von der Bank abzuheben.

Die Opfer würden zudem ständig mit Anrufen "unter Druck gehalten", sagt Micheler. Sie sollen gestresst sein und "nicht zum Nachdenken kommen - damit sie nicht doch misstrauisch werden und die echten Verwandten anrufen oder den Nachbarn benachrichtigen. Die Abholer observierten den Gang zur Bank oder die Haustür der betreffenden Person. Notfalls bricht der Koordinator aber per Telefon oder SMS die Aktion noch im letzten Moment ab, wenn es nicht genau nach Plan läuft, weiß der Kriminalhauptkommissar. Er ist froh, dass die Betrüger zumindest in Söcking und Starnberg kürzlich keine Chance hatten. Denn die Frauen hätten die Anruferin durchschaut und schnell den Hörer aufgelegt, berichtet der Fahnder.

Gewarnt sind auch die Kreditinstitute und deren Mitarbeiter - zum Beispiel jene der VR-Banken im Fünfseenland. Die Angestellten seien wegen des sogenannte Enkeltricks längst sensibilisiert und wüssten, wie sie sich in einer womöglich verdächtigen oder merkwürdigen Situation zu verhalten haben, betont Markus Raphael, der stellvertretende Sprecher der VR-Bank Starnberg-Herrsching. So sollten sich die Mitarbeiter beim Kunden eventuell im Gespräche darüber erkundigen, warum gerade zu diesem Zeitpunkt eine so ungewöhnlich hohe Geldsumme ohne Ankündigung abgehoben werde. Notfalls müsse dann sofort die Polizei verständigt werden, sagt Raphael.

Die Anrufer haben noch andere Tricks auf Lager. Gern wird ein "Reisegewinn für zwei Personen" vorgegaukelt - wie kürzlich in Krailling geschehen. Der mutmaßliche Betrüger gab vor, im Auftrag einer "Bremer Gewinnübermittlungszentrale" zu handeln, er brauche aber noch einige persönliche Daten vom Gewinner. Dem Gesprächspartner teilte der Unbekannte erst auf Nachfrage seinen Namen mit - er nannte sich "Sven Müller". Für den Ermittler Micheler sind solche Anrufe klare Betrugsversuche, bei denen sogar Telefonnummern von Polizei, Kanzleien und Behörden auf dem Display erscheinen - diese Manipulationen nennen sich auch " Spoofing".

Manche freuen sich über ein "gewonnenes Auto, das sich aber noch in Istanbul" befinde. Für die Überführung seien daher noch 600 Euro erforderlich, heißt es dann. Hat der ahnungslose Adressat erst angebissen und den Betrag auf das ausländische Konto überwiesen, wird der Gutgläubige fleißig weiter gemolken. Zum Beispiel mit der bedauerlichen Nachricht, dass die Transportfirma gerade "Pleite gegangen" sei, wie Fahnder Micheler berichtet. Ihm zufolge fallen immer noch viele Leute auf die Betrüger herein.

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