Dießen:Zündender Retro-Sound

Von Armin Greune, Dießen

Die vier Jungs auf der Bühne wirken tatsächlich so, als wären sie aus der Zeit gefallen. Kein Wunder, dass "Simeon Soul Charger" hartnäckig das Etikett "Nouveau Hippie" anhängt: Sänger Aaron Brooks trägt Army-Jacke und rotes Bandana, als wären sie originale Woodstock-Devotionalien aus dem Jahr 1969. Rick Phillips lässt seine psychedelisch lackierte Lead Guitar wie einst David Gilmore bei Pink Floyd singen und hallen, hinter ihm schüttelt Drummer Joe Kidd seine Mähne. Nur Aarons jüngerer Bruder, der als "Spider Monkey" den Bass hält, passt mit seinem imposanten Dreadlocks-Turm nicht ganz ins Bild.

Bei der Musik, die im Dießener Club 1516 erklingt, gibt es freilich keinen Zweifel: Das Quartett, das ursprünglich aus Akron/Ohio stammt, bedient sich ungeniert bei den Klassikern aus der wohl kreativsten Phase der Rockmusik, den Jahren von 1967 bis 1975. Da treffen Balladen, die an Songs der "Doors" erinnern, auf komplexe Arrangements, wie sie von "The Greatest Show on Earth" stammen könnten. Jahrmarktsklänge und Rock Opera-Arien erzeugen dramatische Spannung, harte Stoner Rock-Riffs wechseln sich mit Slide-Passagen ab. Und wenn Brooks und Phillips zweistimmig Gitarre spielen und singen, klingt das teilweise wie eine Neuauflage von "Wishbone Ash". Mit ähnlich heller, ausdrucksstarke Stimme wie der von Martin Turner trägt Brooks seine mystische oder dunkel-dystopische Texte vor. Die Stücke glänzen mit überraschenden Rhythmus-, Tonart- und Stilwechseln: "Europas Garden" etwa ist kein kompakter Song, sondern eine ganze Suite im Stil der frühen Genesis-Konzeptalben. Trotz aller Anleihen bei Artrock- und Progressive Rock-Klassikern verdient das kreative Potenzial der Band uneingeschränkt Bewunderung.

Wenn sich Brooks allerdings am Mini-Keyboard vergreift, sind technische Defizite nicht zu überhören. Und im mittleren Teil des Programms drohen ausgedehnte, kakophonische Experimente das Publikum zu ermüden. Ansonsten zündet der Retro-Sound von "Simeon Soul Charger" generationenübergreifend: Die 80 Zuhörer decken die Entstehungsjahre von "Rock Around the Clock" bis zu Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" ab. Während sich unter den Jüngeren viele angereiste Fans der Gruppe finden, gehören die Veranstalter vom Verein "Rockfreunde Ammersee" und der Rezensent eher den saturierten, gereiften Semestern an. Die Jungs aus Ohio aber orientieren sich immer noch am Live Style der Sixties: Ihre große Freiheit fanden sie ausgerechnet im Hinterland der Hallertau, wo sie in einem alten Bauernhof zusammen leben und musizieren.

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