Dießen:Der Kreislauf des Lebens

Olivia Tietz-Pourroy versucht auf Gut Romenthal, hochwertige Fleischproduktion mit Tierliebe zu vereinen

Von armin greune, Dießen

Vor gut einem Monat, in der heiligen Nacht, genau um 0.15 Uhr, war es so weit: Im Stall kam "Enja" zur Welt. Das Kälbchen war für Olivia Tietz-Pourroy das schönste Weihnachtsgeschenk. Die Geburt eines Rindes sei noch immer ein ganz besonderes Erlebnis: "Da gibt es vor allem diesen wunderschönen Moment, wenn die Kuh ihr Kalb begrüßt und man weiß, dass alles glatt gegangen ist". Dass Tietz-Puorroy im Winter den größten Teil der Geburten nicht direkt im Stall, sondern auf dem Bildschirm des Computers mitverfolgt, tut der Begeisterung und der Intensität des Arbeitseinsatzes keinen Abbruch. Um die Tiere möglichst ungestört zu lassen, werden sie bei Geburten im Stall weitgehend über Kameras beobachtet.

25 bis 30 Mal jährlich kann sich die Verwalterin von Gut Romenthal bei ihrer Charolais-Herde über die Ankunft von Nachwuchs freuen - oft passiert es mitten in der Nacht. Auf der Gegenseite gibt es im Jahr acht bis zehn Tage, an denen der Metzger auf den Hof kommt, um jeweils ein in aller Regel zweijähriges Rind zu schlachten. Für Tietz-Pourroy gehört es zum Kreislauf des Lebens, Fleisch ist neben dem Verkauf von lebenden Rindern zur Mast oder Zucht wirtschaftliche Grundlage ihres Betriebs. Nachdem man zunächst einen Teil des Fleisches an Luxus-Gastronomie geliefert hatte, wird es nun meist ab Hof an Endverbraucher abgegeben. "Direktvermarktung ist für uns der bessere Weg", hat Tietz-Pourroy erfahren. Pro Schlachtung fallen etwa 20 Zehn-Kilo-Pakete an, die bei einem Kreis von rund 150 Stammkunden stets rasch über Vorbestellungen verkauft sind.

Für die gelernte Marketingfachfrau und leidenschaftliche Landwirtin ist wichtig, dass ein Tier artgerecht gelebt hat. Die Liebe zur Kreatur äußert sich bei Tietz-Pourroy nicht nur bei ihren Rindern: Zwei Streichelziegen als Überlebende einer einstigen Herde, Zwergkaninchen und aufmerksame Hunde beleben Gut Romenthal. Selbst für den Fuchs, der sich als notorischer Kaninchendieb erwiesen hat, sowie den Biber, der ein unverbesserlicher Baumfrevler ist, findet sie verständnisvolle Worte.

2007 hatte der Bruder der Hausherrin, der Kaufmann und Jurist Artus Pourroy das ehemalige ökologische Versuchsgut vom Freistaat erworben. Sieben Jahre lang hatte der Voreigentümer mit Interessenten verhandelt, die für die 108 Hektar-Immobilie die unterschiedlichsten Konzepte präsentierten. Schließlich entschied sich der Haushaltsausschuss des Landtags für eine Wiederbelebung der extensiven Weideviehhaltung auf dem Anwesen, das neben 60 Hektar Wiesen und 40 Hektar Wald Bäche, einen Fischweiher und diverse sanierungsbedürftige Gebäude wie eine 1757 errichtete Kapelle umfasste. Zum Betriebskonzept gehören inzwischen auch nachhaltige Forstwirtschaft und Energieerzeugung: Eine zentrale Hackschnitzelanlage in einer neu gebauten Maschinenhalle versorgt das gesamte Gut mit Wärme. Im Nebenerwerb wird das romantische Anwesen als Location für Hochzeiten angeboten. Dieses Angebot soll in Zukunft durch zwei kleine Ferienwohnungen zum "Urlaub auf dem Bauernhof" ergänzt werden.

Hauptbetriebszweig aber bleibt die Charolais-Zucht, für die bis 2009 mit dem Kauf von 15 Mutterkühen und dem Bullen "Azora" der Grundstock gelegt wurde. Fast zeitgleich kam im Alter von vier Monaten "Pegasus" nach Romenthal, der es mittlerweile zu einiger Berühmtheit gebracht hat: 2012 vertrat der gewaltige, 1300 Kilogramm schwere Stier auf dem Zentralen Landwirtschaftsfest am Münchner Oktoberfest seine Rasse; seit 2011 hat er als Deckbulle etwa 50 Kälber gezeugt.

Charolais-Rinder stammen aus Frankreich und gelten als sanfte, robuste Tiere. Die einfarbig helle Rasse wird für ihre hervorragende Fleischqualität gerühmt: Die muskulösen Tiere binden wenig Fett im Gewebe. In Romenthal werden sie nach Bioland-Richtlinien gehalten und grasen von März bis November auf den Weiden. Im Winter werden sie im großen, an einer Seite offenen Laufstall mit selbst erzeugtem Heu, Grummet und Grassilage gefüttert. In zwei Gruppen mit je einem Zuchtstier unterteilt, können sich die derzeit 33 Muttertiere und ihre 40 Kälber dort ungehindert bewegen. Jede Gruppe wird von einem Bullen begleitet: Es muss noch einen zweiten Deckstier geben - schon um zu verhindern, dass "Pegasus" seine eigenen Töchter bespringt.

Er hat es besser als die meisten seiner Geschlechtsgenossen: Auch auf Gut Romenthal werden ein paar der Jungbullen im Alter von 4 Monaten kastriert und weiter aufgezogen. Die nicht Kastrierten dürfen dann noch ein Jahr bei einem Biobullenmäster in Niederbayern auf der Weide leben. Die Färsen haben größere Chancen, als Muttertiere auch über das dritte Lebensjahr hinaus im Gut gehalten zu werden. Doch auch für sie hält das Leben hin und wieder eine Tragödie bereit: Wenn sie nach zehn Monaten getrennt werden, rufen sich Mutterkühe und Kälber gegenseitig tagelang. Ihr Trennungsschmerz sei so laut, dass sie manchmal von besorgten Nachbarn darauf angesprochen werde, sagt Tietz-Pourroy.

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