Dießen:Berg- und Talfahrt der Emotionen

Mendelssohns Wandlung vom Saulus zum Paulus kommt im Münsterkonzert überzeugend rüber

Von Reinhard Palmer, Dießen

Es ist jedes Mal aufs Neue beeindruckend, welch gewaltiges musikalisches Epos Mendelssohn mit "Paulus" op. 36 geschaffen hat. Es ist nicht nur die große Besetzung, die am Sonntag in einer Kooperation des Münsterchores Dießen und des Kirchenchores Schondorf mit dem Ensemble Lodron aufgebracht wurde. Vielmehr zählt die Vielzahl der gewichtigen Ereignisse im Inhalt, die alle mit ausgeprägten Emotionen gefüllt sind. Gerade sie waren die große Stärke der Aufführung im Rahmen der Münsterkonzerte, die Stephan Ronkov am Pult mit weitem Atem und überaus musikalischer Führung dem zahlreichen Publikum zu vermitteln vermochte.

Es ist eine wahre Berg- und Talfahrt der Gefühle, die Mendelssohn musikalisch packend inszenierte. Die Fülle rät zur Mäßigung, was Ronkov mit ausgeprägtem Gespür für ausgewogene Proportionen tat. Das bedeutete eine Abmilderung allzu abrupter Kontraste zugunsten einer fließend ineinander greifenden, tief wirksamen Atmosphäre. Vor allem in den warmtonigen, breit strömenden Chorälen, zu deren Einfügung sich Mendelssohn entgegen zeitgenössischer Gepflogenheiten von Bachs Werken inspirieren ließ. Aber auch sonst fielen dem Chor große Emotionen zu, die bei einem gut hundertköpfigen Klangkörper - im halligen Marienmünster schwer zur Klarheit in der Sprachdiktion zu formen - schon mächtig unter die Haut gehen konnten. Insbesondere, als es mit Fanfaren große Hymnen anzustimmen galt.

Ronkov vermochte Mendelssohns Material mit Verbindungen, Verschränkungen und vorwegnehmender Charakterisierung zu übergreifenden Handlungseinheiten zu verschmelzen, um darüber den alles umfassenden Bogen der Wandlung von Saulus zu Paulus zu spannen. Eine dramaturgisch fesselnde Einheit formte Ronkov mit der Erscheinung Christi nahe Damaskus, die den entscheidenden Wendepunkt markiert und der geradezu eine opernhafte Dramaturgie hinterlegt ist mit einer mysteriösen Verdunkelung der Altstimme.

Eine tragende Rolle in den empfindsamen Momenten spielen die Solisten, die Ronkov mit viel Einfühlungsvermögen für Mendelssohns Klangregie ausgewählt hatte. Die Solisten verstanden es, vom Oratoriengesang behutsam in den Operngesang zu wechseln, wenn der Komponist melodiöse Rezitative und Arien anbot: Bettina Gfeller (Sopran), Florence Losseau (Alt), Robert Wörle (Tenor) und Thomas Gropper (Bass). Die Erzählerrolle vertraute Mendelssohn dem Sopran an, was Gfeller mit reichem farblichem und charakterlichem Changieren meisterhaft emotional darbot. Ihr klarer, warmtoniger Sopran zeigte große Flexibilität. Ähnlich wandelbar auch Wörle, der von der Standhaftigkeit als Stephanus zur fesselnden Erzählkunst zu wechseln hatte. Paulus' Erhabenheit und Größe nach der eher dramatischen Saulus-Rolle formte Gropper mit majestätischer Fülle und gütiger Klangschönheit. Die Chöre ließen sich in die Dialoge der Solisten hineinziehen und führten sie nahtlos in die Chorpassagen hinein - insbesondere im Finale, das erst eine lyrische Rücknahme erfuhr, bevor hymnische Größe einen nachhaltigen Eindruck beim begeisterten Dießener Publikum hinterließ.

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