Die Nische wird enger:Das wunderbare Warenhaus

In der Dießener Drogerie Loh wird der Begriff "Lebensmittel" sehr weit gefasst: Auf nur 300 Quadratmetern Ladenfläche finden sich unglaublich viele Artikel. Doch der Fortbestand des Familienbetriebs ist bedroht

Von Armin Greune, Dießen

Was darf es sein? Eine Hirschsalami oder eine Designertasche aus Italien? Ein Schweinsfuß von dort oder lieber ein Pinguin aus Porzellan? Gefriergetrocknete oder frische Erdbeeren? Socken oder Sonnenbrille? Regen- oder Flachbildschirm? All das und tausende Dinge mehr finden sich bei den Lohs. Unter einem Dach in Dießens Mitte, zwischen Marktplatz und Marienmünster, sind Reformhaus, Drogerie, Edeka-Markt, Elektrogeschäft, Viktualienhandel, Paketshop, Biometzger und -bäcker vereint.

Noch. Zwar denkt bei den Lohs auch im 65. Jahr des Bestehens derzeit keiner an Ruhestand. Aber der Familienbetrieb spürt, wie für den Einzelhandel die Nische zwischen Discountern und Vollsortimenter-Ketten immer enger wird: "Es ärgert mich maßlos, wie die Konzerne permanent und mit Absicht Artikel unter dem Einkaufspreis verkaufen", sagt Geschäftsführer Christian Loh. Wenn aber ausschließlich der Preis den Absatz regelt und alle Kunden immer nur nach dem günstigsten Angebot suchen, steht auch das Überleben des Warenhauses an der Herrenstraße auf dem Spiel.

Die Strategie der Handelsketten ist klar: Intensiv beworbene Billig-Angebote sollen Verbraucher in die Supermärkte am Ortsrand locken. Wer dort mit dem Auto vorgefahren ist, wird dann noch viele andere Artikel in den Kofferraum laden, auch wenn sie nicht billiger sind, als etwa bei den Lohs. Die Folge: Während außerhalb von Dörfern und Städten immer mehr Natur mit Einkaufszentren und Parkplätzen zubetoniert wird, veröden Ortskerne. Und am Ende müssen die Konsumenten für jede Zwiebel und jedes Päckchen Kaffee das Auto anwerfen. In Utting etwa lässt sich so ein Ladensterben an der Bahnhofstraße erleben. Deshalb beäugen inzwischen viele Kommunen zusätzliche Lebensmitteldiscounter eher kritisch.

Doch noch immer spießen Supermarktfilialen aus dem Boden, gerade im kaufkräftigen Fünfseenland. Edeka und Rewe sind offenbar dabei, sich nicht nur den Konkurrenten Tengelmann einzuverleiben, sondern gleich den gesamten Markt untereinander aufzuteilen. Fünf Kilometer östlich von Dießen hat im Herbst 2015 eine Rewe-Filiale aufgemacht, sieben Kilometer nördlich wurde im Herbst 2016 eine weitere eröffnet; beide übrigens von Einzelhändlern, die schon im Landkreis Starnberg je einen Markt betreiben. In beiden Läden sind auf 1100 oder 1200 Quadratmetern Verkaufsfläche angeblich 15 000 Artikel zu finden; ein Discounter bietet lediglich 800 an. Aber auch in den sogenannten Vollsortimentern scheint die Auswahl stetig zu schrumpfen, zumal Edeka und Rewe eine weitgehend identische Produktpalette führen. Auf dem Land ziehen die Handelsketten nur noch in Neubauten ein, wenn ihnen mindestens 1000 Quadratmeter Verkaufsfläche geboten wird. Die Märkte werden immer größer: Während sich das Sortiment lichtet, wachsen die Gänge in die Breite, als sollten die Kunden mit ihren überdimensionierten Geländewagen gleich direkt zum Regal vorfahren.

Der Laden der Lohs ist das genaue Gegenteil zu diesem Trend: Auf nur 300 Quadratmetern Ladenfläche drängen sich Kameras, Kerzen und Konfekt. Im Sommer sind 50 Modelle von Strohhüten der Allgäuer Traditionsmanufaktur Seeberger erhältlich, was sogar Kunden aus München anzieht. Gerade sind vor dem Haus Schneeschaufeln, Wachsfackeln, Wollpantoffeln und Armee-Parkas im Angebot. Eines der sechs Schaufenster wird von Tierfutter und Vogelhäuschen dominiert. In den anderen werden Bio-Kosmetik, Elektronikartikel, Nahrungsergänzungsmittel, Getränkeflaschen sowie ein Laserschwert und ein rosa Cowboyhut präsentiert: Es ist ja Fasching.

Drinnen im Laden quengelt ein Sechsjähriger und will unbedingt die Dinosauriermaske haben. Erstaunlich, dass ihm das Wort "Triceratops" fast schon fehlerfrei über die Lippen geht."Wir sind Ansprechpartner für fast alles", sagt Loh. Wie zur Bestätigung tritt eine Frau heran und fragt, wie sich im Wollwaschgang Verfärbungen vermeiden lassen. Aber der Service beschränkt sich nicht nur auf Beratung und Vertrieb - der für Stammkunden auch Hauslieferung oder Bestellung von Elektrogroßgeräten einschließt: Loh kauft auch Gold, Silber oder Kameras an. Alte Leicas bietet er gegen Provision auf einem Ebay-Account an. "Sammler in Asien kaufen sie wie verrückt", sagt er. Die übrigen Gebrauchtkameras wie Polaroids werden im Regal neben Hautcremes angeboten, das ehemalige Fotofachgeschäft nimmt nicht mehr viel Platz ein. "Aber wir bieten noch alle Dienstleistungen rund ums Bild an und machen Pass- und Bewerbungsfotos für den halben Landkreis", sagt Loh.

"Unser Schwerpunkt liegt auf Artikeln, die Discounter nicht mehr oder noch nicht führen", sagt Christian Loh. Aus einem Regal zieht er ein Glas neuseeländischen Manuka-Honig heraus, das halbe Pfund kostet 34 Euro. Dank der antibakteriellen Wirkung erziele er "wahnsinnige Erfolge bei der Wundheilung", versichert Loh. Eine Kundin habe 30 Jahre unter Blasenentzündung gelitten und sei dank Manuka nach zwei Wochen kuriert gewesen. Aber eigentlich ist im Laden für Fragen wie Gluten- oder Lactoseintoleranz Verkäuferin Daniela Garth zuständig, die sich in Ernährungsberatung ständig weiterbildet.

Christian Loh wiederum kümmert sich um Gemüse und Obst, das er fast täglich frisch aus der Großmarkthalle in München holt und das es im Laden in großer Auswahl gibt: Exoten wie Passionsfrüchte, blaue Kartoffeln und Bataten sind darunter. Alles wird offen und einzeln angeboten: Das rechnet sich für viele Kunden, auch wenn die Grammpreise höher sind, als für fertig abgepackte Viktualien im Supermarkt. Denn von den vermeintlich günstigeren Großpackungen landet oft ein Großteil am Ende im Abfall. Zum Konzept der Nachhaltigkeit passt auch, dass Loh keine Plastiksäcke mehr ausgibt. Und die letzten Einweg-Zellophantütchen an den Obstkörben sollen durch wieder verwendbare grüne Netze ersetzt werden.

Wärmflaschen in Hasengestalt, Fliegengitter, Babyshampoo, I-Phones. Galgantwurzel, Grußkarten, Gummi arabicum, konzentrierte Salzsäure: Erstaunlich, dass im Laden sogar noch ein "Männerparkplatz" Platz findet, eine grüne Bank mit drei Kissen, die gut frequentiert wird.

Auf die Frage, wie viele Artikel sich in den schier unerschöpflichen Magazinen finden, muss Loh passen. "Wir arbeiten ja noch wie früher ohne digitales Warenwirtschaftssystem", das den Bestand an der elektronischen Kasse automatisch erfasst. Bei den 40 oder 50 verschiedenen Lieferanten mache das wenig Sinn. Wurst etwa holt er persönlich einmal im Monat aus Südtirol bei einem aus Kaufbeuren stammenden Metzger und bringt dabei auch italienische Nudeln und andere Produkte mit. Der Verzicht auf elektronische Registratur bedeute zwar, dass die Waren manuell sortiert, eingeräumt und ausgezeichnet werden müssen. Manchmal habe es aber auch Vorteile, sagt Loh: "Als vor einem Jahr mehrmals der Strom ausfiel, konnten wir mit Taschenlampen weiterarbeiten." Noch immer profitiert der Familienbetrieb von der Nähe zum "Augustinum", wo 380 ältere Menschen wohnen. Sie stellten rund 30 Prozent der Kunden, sagt Loh. "Aber auch die Senioren werden immer mobiler, viele fahren noch im hohen Alter Auto und damit dann zum Lidl."

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