Brauchtum:Der Maibaum im See

Starnberger Burschen gelingt vor 65 Jahren der größte Coup: Sie entführen den Stolz der Tutzinger übers Wasser

Von Sabine Bader, Starnberg/Tutzing

Wir schreiben das Jahr 1953. Es ist die Nacht von Ostersonntag auf Montag. Da spielt sich für die Tutzinger Maibaumwächter ein Drama ab: 21 Burschen und ein Madl aus Starnberg rücken in einem Motorboot an. Sie haben den Motor ihres Gefährts schon zuvor abgestellt und rudern ganz leise heran, um nicht entdeckt zu werden. Denn sie planen den größten Coup in der Geschichte des Maibaumklaus. Ein echtes Meisterstück. Sie wollen den Stolz der Tutzinger auf dem Wasserweg stehlen. Denn der 30 Meter lange Baum ist vom Land her gut gesichert. Er liegt hinter der hohen Mauer im Park der Violaburg, einer herrschaftlichen Villa, in der der Maler Anton Leidl (1900-1976) gelebt hat.

Man muss sich das so vorstellen: Die Villa am See ist von einer hohen Mauer umgeben und vor ihr patrouillieren noch dazu die Burschen Tag und Nacht. Nur auf der Seeseite nicht. Da ist ja das Wasser. Genau dort setzen die Starnberger an. Sie landen leise, legen ihre Ruder unter den aufgebockten Baum und tragen ihn, "nur durch Lichtsignale ihres Anführers gelenkt, ans Ufer", schreibt der Maler Anton Leidl in seiner Autobiografie "Mein Münchner Malerleben".

Der Maler in der Violaburg

Der Maler Anton Leidl (1900-1976) stammt aus Frankfurt am Main. Von 1921 bis 1928 studiert er an der Akademie der Bildenden Künste in München. Schon in dieser Zeit beginnt er auch für die Zeitschriften "Simplicissimus", "Fliegende Blätter" und "Jugend" zu arbeiten. Im Jahr 1943 wird er in der Landeshauptstadt ausgebombt und zieht nach Tutzing. Dort kauft er die Violaburg, ehemals Orangerie der Evangelischen Akademie, die in einem idyllischen Park liegt. Von der Monsignore-Schmid-Straße aus ist das rosafarbene, klassizistische Gebäude aus dem Jahr 1803 dank seiner hohen Mauer nicht zu sehen. Leidl galt als Meister der Landschaftsmalerei. Unter seinen zahlreichen Arbeiten in Öl sowie mit Aquarell-Farben und Tusche befinden sich auch Darstellungen der Violaburg. bad

Am Wasser angekommen, werfen die kühnen Diebe den Stamm in den See und brausen mit ihm im Schlepptau heim nach Starnberg. Was die Lagerstätte des Diebesguts angeht, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Leidl schreibt: Sie "versenkten ihn in der Würm, dem Abfluss des Würmsees". Fritz Schlicht, der als 20-Jähriger bei der spektakulären Klauaktion dabei war, hat eine andere Erinnerung: "Der Baum wurde unter dem Undosa-Bad versteckt", erzählt er der SZ. Das Bad, ein Pfahlbau, bot diesem den geeigneten Hohlraum. Aber ganz sicher ist sich der heute 85-jährige Friseur Schlicht da auch nicht mehr. Bertil Rimmele, Sohn des Starnberger Steinmetzes Alfred Rimmele, kennt die Geschichte anders: "Mein Vater hat mir immer erzählt, sie hätten den Baum in der langen Umkleidekabine gelagert, die damals auf dem ehemaligen Strandbadgelände stand."

Der Beharrlichkeit von Anton Rimmele ist es auch zu verdanken, dass sich eine Darstellung des denkwürdigen Diebstahls, den Leidl in einem Aquarell verewigt hat, heute im Familienbesitz befindet. "Mein Vater hat den Maler regelrecht bekniet, ihm das Bild zu verkaufen", berichtet der Sohn. Das Werk hing zuvor Jahrzehnte lang in den ehemaligen "Starnberger Fischerstuben" des Hotels Bayerischer Hof.

Aus Erzählungen weiß Bertil Rimmele auch, dass sein 2016 verstorbener Vater bei der Klauaktion 23 Jahre alt gewesen ist und "sehr aufgeregt" war. Schließlich war das Ganze für die Beteiligten ein großes Ding. Fritz Schlicht hatte es hingegen mit jugendlicher Gelassenheit genommen. "Ich war ja nur ein Mitläufer". Die eigentliche Aktion in Tutzing sei vor 65 Jahren sehr schnell abgelaufen. "Vielleicht zehn Minuten hat's gedauert", erinnert er sich.

Starnberg, Rimmele,  Bild Anton Leidl

So hat Anton Leidl den Maibaumklau illustriert, der den Starnberger Burschen in Tutzing gelungen ist.

(Foto: Georgine Treybal)

Für die Starnberger ein Blitz-Coup, für die Tutzinger eine Schmach. Leidl schreibt: "Als die Tutzinger den Diebstahl entdeckten, fuhren sie wie wilde Wespen auf Motorrädern um den See, konnten ihren stolzen Baum aber nirgends ausfindig machen." Dabei waren sie sich sicher gewesen, den Stamm diebstahlsicher gelagert zu haben. Pustekuchen.

In ihrer Wut bezichtigen sie offensichtlich auch Leidl, mit den Starnbergern unter einer Decke zu stecken. "Plötzlich hatte ich alle Schuld", schreibt der Maler in seinen Erinnerungen. Und schlimmer noch, heißt es darin weiter: "Ich sei bekannt als ,Viech' und zu jeder Gaunerei aufgelegt." Mit zu ihrer schlechten Meinung über Leidl dürfte auch beigetragen haben, dass dieser sich von den Starnbergern zum Auslöse-Fest mit Bier und Leberkäs hatte einladen lassen. Als sie dann auch noch erfuhren, dass Leidl den Dieben besagtes Aquarell gemalt hatte, welches "zum Ergötzen der Fremden im Bierstüberl des Bayerischen Hofs" hing, war er bei den Burschen vollends unten durch. Das hat ihn immerhin so arg getroffen, dass er der Geschichte später eine eigene Passage in seiner Autobiografie gewidmet hat. Dieses Buch Leidls, das der Starnberger Franz Reuber in seinem Besitz hat, ist seit langem vergriffen. Reuber, ehemals Leiter der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Starnberg, gilt als profunder Kenner der Heimatgeschichte. Auch er glaubt übrigens: "Einen Baum übers Wasser zu klauen, haben bisher nur die Starnberger gewagt."

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