Bernried:Überleben im Baumriesen

Baumpfleger im Bernrieder Park

Baumpfleger aus ganz Deutschland treffen sich in Bernried zum Erfahrungsaustausch. Die uralten Bäume sind interessante Studienobjekte.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eine Schutzgemeinschaft in Bernried betreut stattliche Eichen im Park und untersucht ihre Bedeutung als Lebensraum für seltene Tiere. Forschungsprojekte liefern einige interessante Erkenntnisse

Von Armin Greune, Bernried

Es ist ein besonderer Schatz, mit dem die Gemeinde am Starnberger See aufwarten kann. Ein Schatz, der in Jahrhunderten gewachsen ist und von dessen Zinsen viele Lebewesen profitieren, deren Überleben gefährdet ist. Ihrem außerordentlichen Reichtum an mächtigen Baumriesen hat Bernried unter anderem die Goldmedaille im Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" im Jahr 2008 zu verdanken. Und nun ist die Trägergemeinschaft "Bernrieder Vorsprung" als zukunftsorientierter Nachlassverwalter dieses Naturschatzes mit dem Bayerischem Umweltpreis ausgezeichnet worden: Heimatminister Markus Söder würdigte das Bayernnetz-Natur-Projekt im Dezember als "Vorbild für eine bundesweite Umsetzung".

Bis November 2015 wurde der "Bernrieder Vorsprung" vier Jahre lang vom Bayerischen Naturschutzfonds unterstützt, der 190 000 Euro der Projektkosten übernahm. Den Rest von etwa 30 000 Euro teilte sich die Trägergemeinschaft, der außer der politischen Gemeinde noch die Ortsgruppe des Bundes Naturschutz, die Wilhelmina-Busch-Woods-Stiftung und die Initiatoren, das Ehepaar Klaus und Christina Voormann, angehören. "Ich bin die Lokomotive der Geschichte und kann auch gut anschieben", sagt sie, "aber je mehr Waggons daran anhängen, um so mehr kann auch transportiert werden." Denn das Ziel ist längst nicht mehr nur die Erfassung und der Schutz der "Methusalem-Bäume" Bernrieds. Im Rahmen des Projekts wurden neue, allgemeingültige Kartierungs- und Pflegekonzepte erarbeitet und getestet. Mit ihnen lassen sich Baumriesen vor einer vorzeitigen Fällung bewahren, wenn sie die Verkehrssicherungspflicht an Straßen oder Wegen wieder einmal zu erfordern scheint.

Vor allem aber konnten viele wissenschaftliche Erkenntnisse über die alten und abgestorbenen Bäume als Lebensräume für bedrohte Arten gefunden werden. Etwa ein Fünftel aller heimischen Tier- und Pflanzenspezies - und noch mehr Pilzarten - sind auf sogenanntes Totholz angewiesen, für das in unseren Wirtschaftsforsten kaum noch Platz bleibt. Schon im frühen Mittelalter waren die letzten Urwälder gerodet, in denen der natürliche Kreislauf vom Werden und Vergehen holzzersetzenden Organismen Nahrung und Höhlenbewohnern Unterschlupf bot. Darunter finden sich Fledermäuse, Siebenschläfer, Spechte, unzählige Insekten sowie Moose, Flechten und Pilze.

Eine dieser stark gefährdeten Urwaldreliktarten ist der Eremit oder Juchtenkäfer. Seine Brutbäume unterliegen strengen Schutzbestimmungen, was sich spätestens seit Stuttgart 21 herumgesprochen haben dürfte. Bernried hat sich als Hotspot für die Verbreitung des Insekts erwiesen: In einer Bachelorarbeit hat die angehenden Landespflegerin Johanna Niessen 28 Methusalem-Bäume im Eichenhain des Bernrieder Parks untersucht; in 13 von ihnen fand sie den Eremiten vor. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die Trägergemeinschaft junge Wissenschaftler und Praktiker für ihr Projekt begeistern kann. Gerade forschen zwei Forstwirtschaftsstudenten unter anderem in Bernried, wie Alt- und Totholz als Habitate für Käfer, Spechte oder Pilze mit der Umgebung vernetzt sind. Manche Bock- und Prachtkäfer leben beispielsweise in und auf sterbenden Bäumen, brauchen aber als Nahrungsquelle in unmittelbarer Nähe Blüten.

Ein weiterer Student und Baumpfleger hat in seinem Praktikumssemester zusammen mit den Projektträgern einen kompakten Ratgeber für Gartenbaupraktiker und Eigentümer von Baumriesen erarbeitet. Darin wird zunächst auf ihre ökologische Bedeutung für die Artenvielfalt, als Kohlendioxidspeicher und Sauerstoffproduzent hingewiesen. Weiter erläutert die Fibel, wie alte Bäume schonend gepflegt und gesichert werden können. Auch Fördertöpfe und Kontaktadressen sind aufgeführt.

In der Broschüre ist auch ein Formular für die bislang einzigartige baumökologische Bestandsaufnahme enthalten. Sie wurde von der Bernrieder Trägergemeinschaft und dem Ökologen Wolfgang Lorenz entwickelt. Auf einem Bogen werden Daten wie Standortskoordinaten, Baumart, Dimensionen und bis zu 31 Strukturdetails vermerkt: Darunter Pilzbewuchs, Spechthöhlen, Stammrisse und Totholz. Weist ein Baum ein oder zwei der genannten Merkmale auf, gilt er als Biotopbaum; umfasst sein Stamm in Brusthöhe mindestens 3,50 Meter, wird er als Methusalem geführt. Das Datenblatt - eventuell ergänzt mit einer Erfassung des Wurzelbereichs und des Umfeld des Baums - kann auch von Laien in zehn bis 15 Minuten ausgefüllt werden. Etwa 200 der mehr als 500 Bernrieder Riesen wurden so bisher in ein Kataster aufgenommen.

Für besonders wertvolle Individuen leiten Fachleute auf Basis dieser Bestandsaufnahme nach weiteren aufwendigen Untersuchungen zur Statik, Vitalität und Funktion des Baums Managementpläne ab. Darin sind ausführliche Pflegekonzepte enthalten. Sieben dieser speziellen Diagnosen mit Therapievorschlägen konnten bisher in Bernried erstellt werden. Mittelfristiges Ziel ist, solche Managementpläne für etwa 80 Baumriesen des Bernrieder Parks zu entwickeln, deren Weiterleben in den nächsten 20 Jahren gefährdet scheint - dazu wären aber 25 000 Euro erforderlich.

Zu den Einzelbäumen, denen besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, zählt "Wotan", ein Lieblingsbaum der Bernrieder. Im vergangenen Jahr hat die mächtige Eiche im Park drei Tragäste abgeworfen, vor wenigen Tagen wurde ihre Krone mit zehn Seilverankerungen gesichert. Das älteste Exemplar unter den vielen Bernrieder Veteranen, die ihren Ursprung meist der früheren Waldweide für die Schweinemast verdanken, dürfte die Hofgut-Eiche sein. Sie weist als mittlerer Baum einer Dreiergruppe südlich des neuen Guts mehr als acht Meter Stammumfang auf, ihr Alter wird auf 800 bis 1000 Jahren geschätzt. In einer 40-seitigen Monografie werden ihre Vitalität dokumentiert und Empfehlungen zum Erhalt wie die Reduzierung des Nährstoffeintrags im Umfeld ausgesprochen. Die Hofgut-Eiche war auch im Herbst 2015 Ziel einer Exkursion, an der unter anderem der wohl weltweit renommierteste Baumwissenschaftler Neville Fay aus Wales teilnahm. Ein reich bebilderter Bericht dieses Lehrausflugs findet sich im Heft "Von Baumriesen lernen", das auf der Homepage www.bernrieder-vorsprung.de heruntergeladen werden kann.

Die zweite größere Veröffentlichung der Trägergemeinschaft, "Naturerbe bewahren", fasst die Ergebnisse einer Expertentagung mit 89 Teilnehmern zusammen, die im Frühjahr 2014 in Bernried stattfand. Diese regelmäßigen Symposien, auf denen auch Standards zur schonenden Baumpflege entwickelt werden, sollen fortgeführt werden: Schließlich ist das Naturerbe des Bernrieder Vorsprungs kein totes Museum, sondern Schauplatz moderner Forschung am lebenden Objekt.

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