Berg:Utopie mit Wunden

Berg: Marschallstall Julius Wurst

Karge Materialien, Weggeworfenes und Banales stellt Julius Wurst in seinen im Marstall ausgestellten Arbeiten in einen neuen, symbolischen Kontext.

(Foto: Nila Thiel)

Julius Wurst ist wie Joseph Beuys vom sozialkritischen Ansatz und der Arte Povera geprägt. Doch der Pöckinger Künstler tritt bescheiden hinter seinem stillen und poetischem Werk zurück

Von Katja Sebald, Berg

Etwas überspitzt könnte man sagen, Julius Wurst ist das Gegenteil von Joseph Beuys. Der verstand sich selbst als "Sender", Wurst aber ist ein hochsensibler "Empfänger" für soziale Ungerechtigkeit, für das Leiden des Individuums und für unseren zerstörerischen Umgang mit der Schöpfung. Im Berger Marstall zeigt der Pöckinger Künstler bis 26. Februar täglich von 15.30 bis 19 Uhr jetzt eine stark autobiografisch geprägte und Retrospektive, die zwar aus Malerei und Objektkunst mit mehr als vierzig Einzelexponaten besteht, die aber durchaus auch als zusammenhängende Rauminstallation zu lesen wäre.

Der 1950 geborene Künstler verfolgt seit mehr als drei Jahrzehnten mit großer Beharrlichkeit seinen Weg. Ausgehend vom Unterricht in der legendären Malschule von Ruth Kohler und Gunther Radloff in Feldafing wuchs ein ebenso stilles wie poetisches Werk, das sich von zweidimensionalen, später auch reliefartigen Bildtafeln in den Raum hinein entwickelte. Immer wieder entstanden auch fotografische Arbeiten, die sich in der aktuellen Ausstellung in "Schattenbildern" niederschlagen.

In der jüngeren Vergangenheit trat Wurst mit Objekten in Erscheinung, für die er Fundstücke aus der Natur verarbeitet: Aus Stöcken, Rinden und Grashalmen entstehen verspielte Assemblagen und filigrane Plastiken. Auch Weggeworfenes, Rostiges oder Belangloses wird - oft nach Jahren des Aufbewahrens - in neuen Kontext gestellt und zu symbolisch aufgeladenen Installationen verarbeitet. Alte, handgeschmiedete Nägel bekommen eine figürliche Anmutung: An Bindfäden geknüpft sind sie schwebende Engel oder Erhängte. Auf einem hohen Kinderstühlchen liegt ein altes schwarzes Buch, umgeben von einer Halskette, aus der kleine Skalpelle herausragen. Der Stuhl steht auf schmutzigem Rupfen, aus Holz ist darauf ein Auge Gottes gelegt, aus dem ein derber Klotz ragt. Man muss nicht erst den Titel "Hinter dem Altar" lesen, um die schmerzhafte Eindringlichkeit der Arbeit zu spüren.

Es ist vor allem die Kargheit der Materialien, die das Oeuvre von Wurst in die Nähe der Arte Povera rücken. Deren Vertreter - zu denen auch Beuys zu rechnen ist - schufen in den 1960er Jahren mit "armer Kunst" aus wertlosen Stoffen eine neuartige Materialästhetik. Es ist aber auch der sozialkritische Ansatz, der sich gegen überkommene Hierarchien und die kritiklose Akzeptanz der zunehmend technisierten, entfremdeten Umwelt richtet, der wiederum an Beuys denken lässt.

Während der aus seiner Biografie die Legende vom Künstler strickte, tritt Wurst mit großer Bescheidenheit und Stille völlig hinter seinem Werk zurück. Die Utopie, Grenzen zwischen Kunst und Leben aufzuheben, war das große Thema der Kunst im 20. Jahrhundert. Sie ist auch das Thema von Wurst, der vor vielen Jahren den Brotberuf aufgab, um sich ganz der Kunst zu widmen. Nicht nur die vielfach geknickte und zum Ausgangspunkt zurückkehrende Karriereleiter, die er mit dem Titel "Obsoletes Bemühen - Karriere" überschrieben hat, trägt autobiografische Züge. "Ich bin ein Flüchtling. Mein Leben begann, da schloss man mich ein, ich aber entrann", so lautet der Titel eines anderen Objekts. "Zeige deine Wunde" heißt eine berühmte Arbeit Beuys. Julius Wurst aber zeigt mit jeder einzelnen Arbeit seine Wunden - leise und ohne zu lamentieren.

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