Berg:Liebesglück unterm Sternenhimmel

Christian Jutz teilt die Begeisterung für die Astronomie mit seiner Ehefrau Gertraud. Das Ehepaar feiert ein seltenes Jubiläum: Sie sind seit 60 Jahren verheiratet

Von Astrid Becker, Berg

Er holt ihr die Sterne vom Himmel. Das mag etwas abgedroschen klingen, ist aber im Fall von Gertraud und Christian Jutz sogar zutreffend. Seit 60 Jahren sind die beiden schon verheiratet, und in all dieser Zeit hat sich "Traudl" Jutz, wie sie von ihrer Familie und ihren Freunden genannt wird, von der Begeisterung ihres Mannes für die Welt der Astronomie anstecken lassen, die bis zur Gründung der Volkssternwarte in Berg im Jahr 1992 führte.

Zunächst allerdings beginnt die Geschichte der zwei gebürtigen Münchner mit einem Fest im Juni 1956. "Wir wollten dort vor allem tanzen", erzählt die heute 88 Jahre alte Gertraud Jutz. Doch ihr vorgesehener Tanzpartner, ein Klassenkamerad, hatte ihr kurzfristig abgesagt. Er habe einen Termin übersehen, teilte er mit. Die junge Gertraud Eberler, wie die Rechtsreferendarin vor ihrer Heirat hieß, wandte sich an eine Freundin und fragte nach einem Ersatztänzer. Genauer gesagt nach Christian Jutz, einem Bekannten dieser Freundin.

Jutz war so ganz anders als die junge Eberler. Während sie gern zu Gesellschaften ging, bei denen Künstler verkehrten, saß er lieber zu Hause, experimentierte oder erfand. "Ach, ich habe alles mögliche entdeckt'", erzählt der heute 91-jährige Chemiker und Doktor der Naturwissenschaften. In der Kindheit, wie in der Jugend oder als junger Erwachsener. Zum Beispiel, wie man mit einer Lupe Feuer entfacht, wie die Gesetze der Optik funktionieren oder auch dass die Venus in Wahrheit ein "Möndchen" ist, wie Jutz sie nennt. Weil sie verschiedene Phasen durchlaufe wie eben der Mond: "Dass Galileo Galilei das längst mit seinem selbst gebauten Fernrohr alles auch schon entdeckt hatte, wusste ich zu dieser Zeit noch nicht."

Jutz beschreibt sich selbst als Einzelgänger, als einer, der sich stundenlang mit sich selbst und seinen Interessen beschäftigten konnte. Darum gefiel es ihm auch eher weniger, als eines Tages in seiner Schule "so ein dicker Mann auftauchte", der ihn und seine Mitschüler für die Hitlerjugend verpflichtete. "Wir mussten da ziemlich viel Unsinn machen", sagt er heute darüber. Nach dem Notabitur 1943 muss er an die Front. Nach dem Krieg absolvierte er die Aufnahmeprüfung für das Chemiestudium an der Technischen Hochschule in München mit der Note Eins und begann zu studieren. Das Fach ist seine Leidenschaft, aber ebenso auch die Astronomie, die Musik, die Literatur oder auch das Bergsteigen.

Berg, Gertraud und Christian Jutz

Wer Gertraud und Christian Jutz begegnet, spürt die tiefe Zuneigung, die beide auch noch viele Jahrzehnte nach ihrer Hochzeit miteinander verbindet.

(Foto: Georgine Treybal)

Obwohl er damals, im Frühsommer 1956, an seiner Promotion arbeitete, zögerte er nicht und ließ sich auf den Tanzabend mit Gertraud Eberler ein. Es wurde ein langer Abend. "Wir tanzten und redeten die ganze Nacht", erzählt seine heutige Frau. Wenige Monate später, im August, reisten die beiden schon zusammen nach Sardinien. Am 28. Dezember gaben sie sich das Ja-Wort in der Münchner Dreifaltigkeitskirche. Zum Schrecken einiger Freunde. "Sie meinten: Der ernste pedantische Dozent und die Zigeunerin, das kann nicht gut gehen", erzählen beide. Aber es ging gut. Sie bekamen drei Kinder: 1957 Daniel, 1959 Simon und 1965 Susanne. Vor allem die Tochter dürfte das Paar heute als Wunder ansehen. Denn als Gertraud Jutz zum zweiten Mal schwanger war, bekam ihr Mann plötzlich immer wieder epileptische Anfälle. Die erste Diagnose lautete: "Eifersucht auf das noch nicht geborene Kind". "Stellen Sie sich vor, so etwas sagte der zu mir. Mein Mann freute sich auf das Kind", sagt Gertraud Jutz. Wenig später wurde ein Gehirntumor mit recht schlechter Prognose diagnostiziert. Doch kurz vor der Operation mit ungewissem Ausgang bekamen die Ärzte nach den Schilderungen des Paares Zweifel und begutachteten den Kopf des Patienten noch einmal mit einem genaueren Verfahren. Der vermeintliche Tumor erwies sich dabei als ein inoperables Aneurysma. Nur wenige Monate gaben die Ärzte damals dem Wissenschaftler und Familienvater noch zu leben.

Jutz' Doktorvater stellte schließlich den Kontakt zu einem Neurochirurgen in Bonn her, der damals als Koryphäe auf diesem Gebiet galt. Jutz wurde sieben Stunden lang operiert: "Die haben damals mit Hilfe eines speziellen Medikaments meine Körpertemperatur auf 28 Grad abgesenkt. Das war neuartig und wichtig für eine Operation wie diese." Er überstand den Eingriff ohne Folgen, obwohl die Rede von einer möglichen halbseitigen Lähmung war.

Damals lebte die Familie noch in München. Jutz habilitierte sich, lehrte an der Universität, während seine Frau Italienisch, Spanisch, Russisch und Neugriechisch lernte. Dennoch träumten beide vom Leben auf dem Land, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Christian Jutz sehnte sich nach einem klaren Sternenhimmel ohne zu viel Beleuchtung und Dunstglocke, Traudl Jutz nach ungestörtem Musizieren mit Freunden "ohne nervenden Hausmeister, der in unseren dritten Stock stürmt, um sich über Ruhestörung zu beklagen".

Ende 1967 übersiedelte die mittlerweile fünfköpfige Familie Jutz nach Berg. Die Kinder gingen in Aufkirchen und Starnberg zur Schule. In der Freizeit stand oft Hausmusik auf dem Programm und sie unternahmen viele Reisen in die ganze Welt. 180, so meint Gertraud Jutz, müssten es schon gewesen sein: "Eine herrliche Zeit", sagt sie. Als die Kinder das Haus verließen und nach 45 Jahren die Emeritierung nahte, suchte Christian Jutz nach einer neuen Lebensaufgabe und beschloss, sein Zwölf-Zoll-Maksutov-Teleskop zu stiften und eine Volkssternwarte in Berg zu gründen. Am 8. Juli 1992 zu seinem 67. Geburtstag wurde sie eröffnet. Bis 2008 leitete sie Christian Jutz selbst, dann übergab er diese Aufgabe an Stefan Schmid.

Berg: Im Dezember 1956 gaben sich die beiden in der Münchner Dreifaltigkeitskirche das Ja-Wort.

Im Dezember 1956 gaben sich die beiden in der Münchner Dreifaltigkeitskirche das Ja-Wort.

Jutz und seine Frau leben noch immer in ihrem Haus in Berg, werden von ihrem Sohn Daniel gepflegt, der eine Firma hat und in der Nähe wohnt, wenngleich Christian Jutz seine Frau noch immer täglich bekocht. Sohn Simon, Geophysiker und Geologe, lebt in Marino am Albaner See. Er hat die wohl größte Leidenschaft des Vaters geerbt, immerhin arbeitet er seit Jahren für das Institut für Weltraumforschung der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Tochter Susanne hat die andere große Liebe in der Familie Jutz für sich entdeckt. Sie ist Pianistin geworden. Am 21. Januar sei sie mit ihrem "E.T.A. Hoffmann Klaviertrio" aber mal wieder in Weßling im Pfarrstadl zu hören, sagt ihre Mutter, nicht ohne Stolz. Und obwohl es beiden körperlich mittlerweile nicht mehr ganz so gut geht, wollen sie auf jeden Fall mit dabei sein. Denn allzu oft können die Eltern ihre Tochter nicht sehen, sie gibt als Kammermusikerin und Solistin Konzerte in der ganzen Welt.

Am 28. Dezember 2016 jedoch feierte die ganze Familie gemeinsam in Ottobeuren, dem Wohnort der Tochter, ein ganz besonderes Fest: die Diamantene Hochzeit von Gertraud und Christian Jutz. Ein besonderes Ereignis, das, so sagen sie, nicht jedem vergönnt sei: "Wir haben Glück gehabt, weil unser Geist noch funktioniert und weil wir uns gegenseitig immer so akzeptiert haben, wie wir sind." Und weil es die Sterne gibt, die sie beide so sehr lieben.

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