Berg:Grenzenlose Neugier

Aufkirchen Volkssternwarte

Die große Leidenschaft von Christian Jutz ist die Astronomie. Sterne sind seine "alten Freunde".

(Foto: Georgine Treybal)

Christian Jutz, emeritierter Chemieprofessor und Gründer der Volkssternwarte in Berg, wird 90 Jahre alt

Von Christiane Barth, Berg

"Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, dem Turme geschworen gefällt mir die Welt. Ich blick' in die Ferne, ich seh' in der Näh', den Mond und die Sterne, den Wald und das Reh", heißt es in Johann Wolfgang von Goethes Faust II im fünften Akt. Jeden Tag lernen Christian Jutz und seine Frau Traudel Literaturpassagen wie diese auswendig. Ihre Liebe zur Poesie hat die beiden, die seit 59 Jahren verheiratet sind, ihr Leben lang begleitet. Schon im Familienurlaub haben sie früher auf langen Autofahrten gemeinsam mit ihren drei Kindern Gedichte auswendig gelernt. Heute hilft es dem Ehepaar, das seit fast 50 Jahren in Berg wohnt, das Gedächtnis zu trainieren. An diesem Mittwoch wird der Professor für Chemie 90 Jahre. Da kommt es schon mal vor, dass er beim Gedichttraining ein Wort vergisst. Seine 87-jährige Ehefrau hilft ihm dann meist auf die Sprünge. Fällt auch ihr das passende Wort nicht ein, reimen sich zwei Verse eben einmal nicht.

Das Zitat aus Goethes Faust passt zum Leben von Christian Jutz wie die Faust aufs Auge. Schon als Kind beobachtete und hinterfragte der geborene Münchner die Welt. "In der Waschküche meiner Eltern habe ich die ersten Experimente gemacht", erinnert sich Jutz. Die Eltern hätten zwar Angst gehabt, er sprenge das Haus in die Luft. Letztlich waren die häuslichen Experimente aber förderlich: Sein Studium der Chemie war so erfolgreich, dass Promotion und Habilitation im Bereich der organischen Chemie folgten und er an der Technischen Universität in München lehrte.

Auch im Ruhestand angekommen, ließ er weder vom Sehen und Schauen, noch von Mond und Sternen ab. Im Gegenteil: Jutz widmete sich seiner zweiten Leidenschaft, der Astronomie. "Ich habe als Kind mit einem Ausziehrohr meines Großonkels die Sterne angeschaut", sagt der 90-Jährige. Später hat er größere Teleskope gekauft. Im Ruhestand setzte sich der emeritierte Professor dann etwas in den Kopf, von dem er nicht mehr abließ: Auf einer Anhöhe der Gemeinde Berg sei der ideale Standort für eine Sternwarte. Nach einem Kampf mit der Gemeinde - der Platz ist in einem Wasserschutzgebiet - erfüllte sich sein Wunsch: Am 8. Juli 1992 - seinem Geburtstag - wurde die Sternwarte eröffnet, die die Gemeinde in Christian-Jutz-Volkssternwarte Berg umbenannte. Eins war ihm von Anfang an besonders wichtig: Die Sternwarte muss für die Allgemeinheit zugänglich sein. "Alle sollen sehen, dass die Welt nicht da aufhört, wo man die nächsten Bäume sieht, sondern dass die Sterne auch dazugehören", sagt Jutz.

Heute macht der Astronomieliebhaber selbst keine Führungen mehr. Hin und wieder schaut er sich seine "alten Freunde", wie er die Sterne liebevoll nennt, aber noch durch die Teleskope an. Der 90-Jährige hat zwar seine "Wehwehchen": "Alter heißt Langsamkeit - es ist der Anfang dessen, dass man sich von der Erde löst, denn man steht mit den Füßen nicht mehr ganz so fest darauf." Trotzdem macht Jutz noch den Haushalt, kocht und geht jeden Tag mit dem Rollator einkaufen. Eine Haushaltshilfe kommt nur alle zwei Wochen für je eine Stunde. Auch mit seiner Frau Traudel, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, unternimmt er noch viel. "Wir gehen oft in Konzerte", berichtet Christian Jutz. Den Rest seiner Zeit verbringt er im Kreis der Familie. Der ganze Stolz: die Enkelkinder. "Wenn wir angeben, dann mit unseren Enkeln", sagt Traudel Jutz.

Mit der Familie feiert er auch seinen Geburtstag - nicht in Berg, sondern an seinem Lieblingsort: in Leutasch in Österreich. "Mein Wunsch ist, dass ich noch ein paar schöne Jahre verbringen darf, Freunde und Familie treffen und in die Sterne schauen kann", sagt er. So lange er noch kann, wird Christian Jutz also noch neugierig die Welt und das Weltall anschauen - auch wenn er zum Lesen mittlerweile eine Lupe braucht.

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