Benefizkonzert:Orchestrale Charakteristik

Gilching, Gymnasium Konzert

Klavierabend mit Victor Chestopal: Der 42-jährige Pianist aus Russland präsentierte eine Auswahl, die durch Klarheit und Transparenz bestach.

(Foto: Georgine Treybal)

Der russische Pianist Victor Chestopal schöpft bei seinem Auftritt in Gauting aus dem Vollen

Von Reinhard Palmer, Gilching

Wer in München in einen von den großen Agenturen bespielten Sälen ins Konzert geht, weiß in der Regel genau, was ihn an Qualität erwartet. Echte Überraschungen kann man im Grunde nur noch im Umland erleben, wo sich Veranstalter um Abstand zum Münchner Mainstream bemühen und sich eben schon mal trauen, den Popularitätsfaktor außer Acht zu lassen. Das Kunstforum Gilching setzte für ein Benefizkonzert auf den 42-jährigen Pianisten Victor Chestopal.

Der Erlös geht an "Mary's Meals", eine weltweit agierende Organisation zur Bekämpfung von Hunger unter Schulkindern. Dass Chestopal hierzulande noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt ist, liegt vor allem daran, dass er aus Russland stammt und - noch in den Studienjahren - nach dem immer noch etwas abseitigen Finnland ging, wo er in Helsinki 2010 schließlich den Titel "Doctor of Music" erwarb. Neben Moskau und Helsinki waren aber auch Imola in Italien und Weimar seine Studienorte. Die Konzerttätigkeit führte Chestopal dann als mehrfach gekürten Preisträger internationaler Wettbewerbe in viele Länder Europas, zudem in die Vereinigten Staaten von Amerika. Erst in diesem Jahr verschlug es den Pianisten ins Münchner Umland.

Auch wenn Chestopal vor allem als Pädagoge an mehreren europäischen Musikakademien und im Rahmen von Meisterkursen tätig ist, war in Gilching vom ersten Ton an auch klar, dass hier eine ausgeprägte, kraftvolle Musikerpersönlichkeit eines Konzertpianisten zu Werke ging. Zumal das Programm nicht gerade leichte Kost versprach: Prokofjews Kriegssonatentriade op. 82-84 aus den Jahren 1939-44 gehört zum Schwierigsten und Komplexesten der Gattung, was die Musikgeschichte jemals hervorgebracht hat. Wer seinen Blick auf Prokofjew bis dato nur aus der Perspektive von "Peter und der Wolf" her ausrichtete, war mächtig überrascht.

Bei Chestopal sah dennoch alles einfach aus und bestach mit Klarheit und Transparenz. Das lag vor allem daran, dass der russische Pianist spieltechnisch aus dem Vollen schöpfte und jede Spielart selbst in den virtuosesten Sätzen und Passagen mit Leichtigkeit bewältigte. Noch wichtiger erwies sich allerdings sein intellektuell-analytischer Blick auf die Struktur der Werke, die mehrschichtig angelegt und bisweilen dicht verwoben sind. Chestopal vermochte die einzelnen Ebenen der Werke dennoch separat im Auge zu behalten und sie jeweils für sich ausdrucksstark zu phrasieren, ohne den Zusammenhang der Stimmen aufzulösen. Die Klarheit rührte dabei vor allem daher, dass der russische Pianist für jede der Stimmen eine klar ausgeprägte Charakteristik fand und sie deutlich gegeneinander absetzte. Für die Kontrastierung standen Chestopal viele Möglichkeiten offen, nachdem er den Raum der Dynamik und Agogik weit geöffnet hatte.

Die leisen, besinnlichen Register zog er schon vorab in Bachs "Das alte Jahr vergangen ist" BWV 614 aus dem Orgelbüchlein. Ähnlich wie in Prokofjews Sonate Nr. 6 im "Tempo di valzer lentissimo" mit empfindsamer Melodik. Einen nahezu spätromantischen Gesang - nach Schumanns "Wehmut" des op. 39 - stimmte Chestopal im Andante caloroso der Nr. 7 an. Der nordisch-elegische Grundton der Sonaten führte in langsamen Passagen immer wieder zum andächtigen Sinnieren, insbesondere in der Sonate Nr. 8, schon im "Andante dolce" des Kopfsatzes, noch mehr im sanften Gesang des "Andante Sognando".

Chestopal nutzte die weiten Entwicklungen Prokofjews, um sich immer wieder zu orchestraler Größe emporzuschwingen. Nicht etwa in impulsiven Ausbrüchen, als vielmehr tektonisch solide aufgebaut und nicht ohne eine Portion Pathos, das absolut schlüssig erschien, um das immer wieder hervortretende virtuose Wirbeln in rasanten Läufen auszubalancieren. Bezeichnend für den Stil Prokofjews sind auch monotone Motivwiederholungen, die aus ihrer Beharrlichkeit in letzter Konsequenz Eindringlichkeit gewinnen. Rhythmisiert wie im Precipitato der Nr. 7 erwuchsen daraus auch packende Grooves, die Chestopal in aller Intensität ausspielte. Das donnernd-orchestrale Finale hinterließ bleibenden Eindruck, belohnt mit lang anhaltendem Applaus. Bach-Busoni ("Ich ruf zu dir Herr") gab es in geistestiefer Andacht als Zugabe.

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